Es war einmal …

Die ARD hat die Märchen der Brüder Grimm neu verfilmen lassen. Aber eins fehlt, denn das Ganze heißt nur „Sechs auf einen Streich“

Von Oliver Harb

In einem wunderbaren Königreich weit hinter den Bergen gab es einst eine Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland, auch kurz und einfach ARD genannt. Deren ganzer Stolz waren ihre Töchter, die Landesrundfunkanstalten, eine schöner und fleißiger als die andere. Eines Tages ward die Frage gestellt, wer denn nun die Tüchtigste sei im ganzen Land.

Und so dachten sich die ARD Programmdirektoren eine Prüfung aus, die baldige Gewissheit bringen sollte: Sie wünschten sich eine Neuverfilmung von Grimms Märchen, sechs an der Zahl und jeweils 60 Minuten lang. Und natürlich zur besten Märchensaison, der seligen Weihnachtszeit.

Zur guten Fee bzw. federführenden Redakteurin wurde Sabine Preuschhof vom RBB berufen, die schon ähnlich märchenhafte Großproduktionen wie „Panda, Gorilla & Co“ redaktionell betreute. „Jede Generation braucht ihre Filme – und jede Generation braucht ihre Märchenfilme“ sagt die gute Fee. Nun gut, die letzten echten großen Märchenverfilmungen aus deutschen Landen stammen noch aus den Defa-Filmstudios der 50er-Jahre – über die unterirdisch cool-bemühten Märchenparodien von Pro7 kein Wort – das ist fast drei Generationen her, aber bei Prestigeprojekten bedient man sich ja gern großer Worte. Außerdem sitzt der Rundfunk Berlin-Brandenburg ja direkt neben den legendären Studios in Potsdam Babelsberg, in denen auch viele Defa-Filme laufen lernten.

„Unsere Neuverfilmungen sollten sich zwar an den alten Originalen orientieren, trotzdem wollten wir auch moderne Elemente, etwas von heute dazubringen“, sprach die gute FeePreuschhof und wedelte dazu mit ihrem Zauberstab. Und so wurden die Märchenbotschaften – bei aller Werktreue – etwas nachsichtiger und weniger düster interpretiert: Wenn zum Beispiel im Grimm’schen Original-„König Drosselbart“ eine hochmütige Prinzessin vom heiratswilligen König so lange erniedrigt wird, bis sie gezähmt der Hochzeit zustimmt, ist der König in der Neuverfilmung ein unbedarfter junger Prinz. Und der hat sich wirklich in die Prinzessin verliebt, geht aber in seinem ungestümen Liebeswahn alles andere als planvoll vor. Und die Moral von der Geschicht: Im ARD-Märchen muss auch ein König dazulernen.

Bei der senderinternen Premiere vor versammelter Belegschaft mit Kinderanhang nebst Patentanten, Schwippschwagern und Großeltern waren vor allem die älteren Zuschauer erfreut, dass die Filme so kinderfreundlich ausfielen. Selbst die Schurken erhalten zum Schluss die Chance, sich zu bessern – das Gefühl kennen auch ARD-Intendanten manchmal ganz gut – und wandern nicht zwingend in den Hexenofen. (Das passiert höchstens mit korrupten Ex-Sportchefs).

Irgendwo muss aber doch die böse Fee dazwischengefunkt haben. Denn natürlich will „Sechs auf einen Streich“ an die heutige Generation angepasst, aber dabei nicht betont cool oder ironisch sein. Die Räuber jagen noch mit alten Büchsen, und nicht mit Laserpistolen. Auch die Könige haben noch Ausrufer und keine Handys. Doch „Frau Holle“ schüttelt ihren Schnee derart digital in der Blue Box aus, dass es nur noch steril und gekünstelt aussieht. Dafür ist das „Tischlein deck dich“ dann wieder ganz fein gedeckt. Besonders stolz sind alle auf den „Froschkönig“, der auch in den Babelsberger Studios animiert wurde – und bei allem künstlichen Grün sehr niedlich aussieht.

Auch bei der Darstellerauswahl wurde mächtig rangeklotzt, die sechs Film versammeln schon die vordere Riege deutscher TV-Darsteller: Herbert Feuerstein als Scherenschleifer („Frau Holle“), Ken Duken als König („König Drosselbart“), Axel Milberg ebenfalls („Das tapfere Schneiderlein“), Andrea Sawatzki als böse Hexe („Brüderchen und Schwesterchen“), Felicitas Woll als Hofdame („König Drosselbart“) und Marianne Sägebrecht als – na wer wohl – „Frau Holle“, natürlich.

Und man merkt in jedem der sechs Märchen, dass sich die Damen und Herren vor der Kamera sichtlich wohlgefühlt haben. Trotz der für die meisten eher ungewöhnlichen Rollen.

Aber auch für die engagierten Regisseure war das in 18 Monaten abgedrehte Projekt eine gern gemachte Erfahrung. Sagt jedenfalls Wolfgang Eißler, Regisseur des vierten Streichs „Brüderchen und Schwesterchen“ und war hellauf begeistert vom für ihn ganz neuen Genre: „Ich hätte anfangs nicht gedacht, dass Märchenverfilmungen so viel Spaß und Freude bereiten können. Es ist fast so, als wäre ein Traum in Erfüllung gegangen, den ich vorher nie geträumt hatte.“

25. 12. ab 14.05 Uhr; 26. 12. ab 14.35 Uhr, ARD