Königreich zu vergeben

Andre Agassi scheidet im Viertelfinale der French Open aus und gibt sich danach eher heiter. Das nährt die Befürchtungen, er könne dem Sport bald den Rücken kehren und ganz in Familie machen

aus Paris DORIS HENKEL

Am Ende eines solchen Tages denkt man darüber nach, wie es wohl sein wird ohne ihn, irgendwann in naher Zukunft. Wie Tennis aussehen wird ohne Andre Agassi. Ohne die bunten, kleinen Geschichtchen am Rande, ohne die großen Spiele, ohne Herz und Schmerz, ohne weise Sprüche, ohne Glanz und Glitter? Man könnte sich auch fragen, was Nevada ohne Las Vegas wäre, aber dazu später.

Es war kein Drama, als Agassi Dienstagabend in Paris gegen Guillermo Coria, 21, aus Argentinien verlor. Anders als vor zwei Jahren bei der spektakulären Niederlage im Viertelfinale gegen Sébastien Grosjean, als er sich vom Erscheinen seines ehemaligen Präsidenten Bill Clinton verwirren ließ, nahm er die Niederlage diesmal formvollendet hin. Er habe nicht mehr tun können, sagte er, Coria sei zu stark gewesen, das müsse er akzeptieren. Und obwohl er von Enttäuschung sprach, wirkte er gelassen, ja fast heiter und bedankte sich für Corias nette Worte.

„Ich weiß nicht, ob mich der Titel hier glücklicher machen kann, als ich es heute bin. Das ist der schönste Moment meines Lebens, und diesen Tag werde ich nie vergessen“, hat Coria gesagt. Er bewundert Agassi, seit er denken kann, und der Sieg gegen sein Idol auf einem der berühmtesten Tennisplätze der Welt fühlte sich an wie ein einziger großer Traum. Wie sich ein jugendlicher Fan über ein Autogramm freut, so freute sich Coria über Agassis gute Wünsche für den weiteren Fortgang des Turniers und der ganzen Karriere – und über den Tennisschläger, den ihm der Meister schenkte.

Mit seiner eher romantischen Sicht dieses Falles mag der kleine Argentinier eine Ausnahme unter den Kollegen sein, aber welche Rolle Agassi in diesem Kreis spielt, das konnte man auch der Aussage des erstaunlichen Niederländers Martin Verkerk entnehmen. Der wird morgen im Halbfinale gegen Coria spielen, und abgesehen von der prinzipiellen Begeisterung, als Außenseiter überhaupt so weit gekommen zu sein, sagt Verkerk, Agassi wäre ihm als Gegner lieber gewesen; er habe sich immer gewünscht, gegen Legenden wie den oder Sampras spielen zu dürfen.

Ob Pete Sampras jemals zurückkommen wird, ist nach dem neuesten Stand der Dinge höchst unwahrscheinlich; und wie lange Agassi sich die Ehre geben wird, ist schwer zu sagen. Dessen Konditionstrainer und Freund Gil Reyes sagt, Andre sei so gut in Schuss, der könne noch Jahre auf diesem Niveau weitermachen. Aber das muss nichts bedeuten. Die Familie wird bekanntlich bald größer sein, und da er immer wieder betont, wie relativ klein die Bedeutung eines Tennisspiels im Vergleich zum häuslichen Glück ist, wie sehr er selbst unter Trennungen von Frau und Kind leidet, ist wenig sicher über das Ende dieses Jahres hinaus.

Und dann? Wenn ein König geht, gewöhnt sich das Volk schnell an einen neuen, aber da können sich die Jungen bemühen, so sehr sie wollen: Diesen Part kann keiner übernehmen. Anders als Sampras, der zwar immer wegen seiner Extraklasse bewundert wurde, der aber lange brauchte, bis er auch die Fantasie der Leute beschäftigte, ist die Transformation des Andre Agassi vom flippigen Jungstar zum Wanderer durch alle Welten bis hin zum Idol der Jungen wie Coria eine einzigartige, eine fantastische, eine nicht zu wiederholende Geschichte.

Die potenziellen Nachfolger daran zu messen, macht nicht viel Sinn, auch wenn letztlich keiner von denen, die mit großem Aufwand von der Dachorganisation ATP in den vergangenen Jahren präsentiert wurden, mehr als nur vorübergehend eine Rolle spielte. Safin will nicht genug, Federer schwächelt bisweilen, Hewitt ist stark, aber er lässt die Leute nur dann nicht kalt, wenn er Kim Clijsters küsst.

Wenn Andre Agassi nicht mehr da sein wird, wird es weiter große Sieger geben. Und es wird weiter Spiele geben, die einem den Atem rauben vor lauter Begeisterung. So wie das auch in der Weite Nevadas ist mit all der Schönheit einer einsamen Landschaft. Man muss Las Vegas nicht lieben, aber es ist heller in der Wüste, solange Licht in Vegas brennt.