Gericht brummt Reichstagskletterern Strafarbeit auf

Weil Justus und seine Freunde gegen den Einfluss der Wirtschaft protestierten, müssen sie nun gemeinnützig arbeiten

BERLIN taz ■ Spielgeld flatterte in den Plenarsaal des Bundestags, dann stieg Justus über die Brüstung der Zuschauertribüne. Er landete zwischen den Hinterbänken, Saaldiener eilten herbei. „Ich fordere Sie auf, solche Aktivitäten zu verlassen“, rief Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse etwas verwirrt, da hatten Justus’ Freunde schon ein Plakat mit der Aufschrift „Die Würde der Wirtschaft ist unantastbar“ befestigt. Es war der 27. April 2007, ein Freitagnachmittag.

20 Monate später kann Justus, der seinen Nachnamen lieber nicht verraten möchte, Bilanz ziehen. Das Amtsgericht Schwerin stellte ein Verfahren gegen ihn und zwei andere ein – mit der Auflage, 15 gemeinnützige Arbeitsstunden abzuleisten. Angeklagt waren sie nach Angaben des Gerichts wegen Hausfriedensbruch und Störung einer parlamentarischen Sitzung. In Schwerin wurde verhandelt, weil sie dort wohnen. Justus, 22 Jahre alt, studiert in London Umweltpolitik, hat aber seinen Hauptwohnsitz in Schwerin.

„Wir wollten klar und deutlich auftreten“, sagt der Student. „Wir wollten mit unserem Körper dazu auffordern: einmal herhören. Kommunikationsguerilla: eine Bildstörung, die den allgemeinen Alltag unterbricht.“ Parallel zur Aktion im Reichstagsgebäude seilten sich zwei andere Kapitalismuskritiker von der Dachterrasse ab. Über dem Haupteingang, wo sonst „Dem Deutschen Volke“ zu lesen ist, befestigten sie ein Spruchband mit der Aufschrift „Der Deutschen Wirtschaft“.

In einer ausführlichen Erklärung erläuterten sie, dass die Wählerinnen und Wähler „nicht als teilnehmendes Element am gesellschaftlichen Aufbau betrachtet, sondern nur als passive KonsumentInnen, die über unterschiedliche Marketingstrategien der Parteien zu urteilen haben“. Die Politiker seien zu fest im System verankert, um über den Tellerrand blicken zu können. Der Einfluss der Wirtschaft sei zu stark, kritisierten Justus und seine Kollegen. Viele ihrer Altersgenossen richteten ihr Leben nur nach Bewerbungskriterien aus, schrieben sie. Es müsse möglich sein, Utopien zu leben.

Über die Aktion wurde viel geblogt. Eine Schulklasse aus Baden-Württemberg meldete sich und bat darum, die Kletterer treffen zu dürfen. Gleichzeitig musste sich die Gruppe mit Strafverfahren herumschlagen. Im Oktober wurde einem von ihnen in Berlin nach eigenen Angaben eine Geldstrafe aufgebrummt. Allein die drei Verfahren, die jetzt in Schwerin abgeschlossen wurden, sagt Justus, kosteten inklusive Anwaltsgebühren rund 2.500 Euro. Auf der Seite geldoderleben.blogsport.de/ bitten sie deshalb Unterstützer um Spenden.

Justus sagt, ihm sei aufgefallen, dass sich viele Blogger und Journalisten nur über die Aktionsform Gedanken gemacht hätten. Über ihre Inhalte jedoch kaum.

An jenem Freitag im April 2007 entspann sich kurz nach der Aktion eine Debatte über die Sicherheit im Deutschen Bundestag. Politiker tauschten in Zeitungsinterviews Vorschläge und Forderungen aus. Alles lief wie üblich. Die Bildstörung war behoben. GEORG LÖWISCH