Hoffnung in Olivgrün

Max Frisch war der Erste, der seinerzeit im „Homo Faber“ einen Techniker nach Südamerika schickte; wie Generationen von Schulklassen wissen, muss dieser für seine Ausschweifung bitter bezahlen. Wenn der deutschsprachige Schriftsteller heute den Wunsch verspürt, einmal einen Roman zu schreiben, der nichts mit seiner Befindlichkeit zu tun hat, verlegt er ihn gerne in ein exotisches Land. Früher diente dazu Italien, wegen des Abenteuers, der Sinnlichkeit, heute muss man aufgrund der Globalisierung schon ein wenig weiter schweifen.

Kuba bietet sich dafür an mit seinen Bildern, die jeder kennt. Graubärtige Greise in Khakiuniform, Warteschlangen auf den Straßen, schneller Sex in Hauseingängen. Der geübte Autor aber erkennt sofort, dass er die Überfülle der Eindrücke durch eine literarische Vorlage bändigen muss. Und die findet er, im Zweifelsfall, bei Frisch. Anders ist nicht zu erklären, warum alle drei wichtigen deutschen Kuba-Romane, die in den letzten Jahren herausgekommen sind, nach demselben Schema funktionieren.

Arnold Stadler schickt in seinem Roman „Eines Tages, vielleicht auch nachts“ (Jung und Jung Verlag 2003, 8,90 Euro) Franz Marinelli als verkrachten Theologen nach Kuba, wo er, wie es so oft in Stadlers Romanen vorkommt, seine verdrängte Homosexualität entdeckt. Marinelli findet seine große Liebe, ist unfähig, sich zwischen ihm und ihr zu entscheiden, wird von beiden betrogen und endet als unbekannte Leiche am Strand. Broder Broschkus, der Held aus Polityckis „Herr der Hörner“ (Goldmann 2007, 9,95 Euro), sucht auf über 700 Seiten nach einer jungen Frau, um derentwillen er sein „Bügelfaltenleben“ zu Hause aufgegeben hat. Anstatt das Mädchen zu finden, verstrickt sich Broder in Havanna immer stärker in die Machenschaften diverser Voodookulte. Angewidert und gleichzeitig erregt durch deren Rituale, findet er durch sie den Tod. Hans Christoph Buch macht in seiner Novelle den intertextuellen Bezug explizit, nicht nur der Titel „Tod in Habana“ (Frankfurter Verlagsanstalt 2007, 18,90 Euro), auch der Name des Protagonisten Achenbach bezieht sich deutlich auf Thomas Manns „Tod in Venedig“. Der Niedergang Havannas erinnert an die düstere Atmosphäre Venedigs, und das Verlangen nach dem Knaben führt geradewegs in die Katastrophe.

Walter Faber, Marinelli, Broder Broschkus, A(s)chenbach: sie alle sind am Ende ein- und dieselbe Romanfigur. Sie sind der ältere Nordeuropäer, der, angeregt durch die südliche Lebensfülle, an seinem apollinisch geordneten Lebensentwurf zu zweifeln beginnt, der liebt, leidet, stirbt. Schade ist, dass Kuba in allen drei Texten Kulisse bleibt, weil sich keiner der Autoren die Mühe macht, ein wirkliches Porträt herauszuarbeiten. Am ehesten gelingt dies wohl noch Politycki, der mit seiner Voodoo-Geschichte ein durchaus erneuerndes Element gefunden hat. Mit viel Sinn für Komik beschreibt er die kubanischen Nachbarn Broders und ihre Lebensumstände, die ohne großes politisches Statement authentisch wirken. Buch dagegen benutzt die kubanische Kulisse nur, um seine politische Meinung zu profilieren, und auch bei Stadler heißt es über Castro, er hätte sich längst „selbst töten müssen“.

Wer jetzt glaubt, dass durch das Stück „Ödipus auf Cuba“, das derzeit unter der Regie von Armin Petras im Maxim Gorki Theater in Berlin läuft, wenigstens ein neuer literarischer Bezug in der Kuba-Rezeption eröffnet wird, irrt leider. Der Untertitel lautet nämlich einmal mehr: „Nach Motiven des Romans Homo Faber von Max Frisch.“ ALA

Nach der Revolution kamen Intellektuelle aus aller Welt nach Kuba, um sich selbst ein Bild von den gesellschaftlichen Umwälzungen zu machen. Doch das Verhältnis Fidel Castros zu den Denkern aus dem In- und Ausland war von Anfang an ambivalent. Vielleicht gibt es jetzt die Chance für einen Dialog, aber nur, wenn sich die neue Regierung allen reformbereiten Kräften öffnet

VON OLE SCHULZ

Für Jean-Paul Sartre gab es keinen Zweifel: „Für einen Intellektuellen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es unmöglich, nicht prokubanisch zu sein“, erklärte er dem Pariser Magazin L’Express, nachdem er Kuba mit Simone de Beauvoir im März 1960 besucht hatte.

Das Diktum des französischen Philosophen zeugt von der Aufbruchstimmung unmittelbar nach der kubanischen Revolution: Intellektuelle unterschiedlichster Couleur und aus aller Welt waren begeistert vom wortgewaltigen Máximo Líder Fidel Castro und strömten in Scharen auf die Karibikinsel, um die Rebellen aus der Sierra Maestra hautnah zu erleben – nicht nur aus Europa, vor allem auch aus den Nachbarländern Lateinamerikas. Pablo Neruda und Carlos Fuentes kamen ebenso zu Besuch wie Gabriel García Márquez und Mario Vargas Llosa, die damals beide als Journalisten über die unglaublichen Veränderungen im Hinterhof der USA berichteten.

Das Verhältnis Castros zu den Denkern aus den Elfenbeintürmen des Auslands war allerdings nicht ungebrochen. Für ihn waren diese Intellektuellen Salonkommunisten, die nie mit der Waffe in der Hand gekämpft hatten. Fidel Castro war Doktor der Rechtswissenschaften und ein begnadeter Rhetoriker, dessen stundenlange ohne Vorlage gehaltene Reden Legende sind, doch er war kein Intellektueller. Als Verfechter einer „Propaganda der Tat“ gab er nicht viel auf Ideologie, auch nicht auf die marxistische.

Raúl Castro hat einmal davon erzählt, wie er nach dem fehlgeschlagenen Anschlag auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba mit seinem Bruder Fidel die Haft auf der Isla de Pinos 1953 dazu nutzen wollte, einige der kommunistischen Klassiker zu studieren: „Vom ‚Kapital‘ haben wir drei Kapitel gelesen, und dann haben wir es weggeschmissen. Ich bin sicher, dass Fidel seitdem nie wieder reingeschaut hat.“

Die „Theoriefeindlichkeit“ der PCC, der Kommunistischen Partei Kubas, und ihrer Führung sei „völlig unmarxistisch“, analysierte Hans Magnus Enzensberger 1969 im „Kursbuch Cuba“. Die PCC sei erst „nach einer siegreichen Revolution gegründet worden, die ohne ihre Mitwirkung an die Macht gekommen war“. Das allein mache ihren Fall bereits „einzigartig“, so der deutsche Dichter und Schriftsteller vor 40 Jahren. Wer sich nach der Ideologie der Partei erkundige, werde auf Fidels Reden verwiesen, deren „Widersprüchlichkeit notorisch“ sei. „Das Vertrauen in ihn, jeder Überprüfung enthoben, wird zum Kernstück der Ideologie.“

Hatte Castro am 21. Mai 1959 noch verkündet: „Unsere Revolution ist nicht rot, sondern olivgrün, sie trägt die Farbe der Rebellenarmee aus der Sierra Maestra“, so proklamierte er nach der CIA-unterstützten Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht zwei Jahre später in der „Deklaration von Habana“ den „sozialistischen Charakter“ der Revolution. Dass es angesichts der aggressiven Politik der USA, die vor Sabotageakten und Bombenanschlägen nicht zurückschreckte, dazu kaum eine Alternative gab, ist ein Argument, das schwer von der Hand zu weisen ist: „Die innere Logik von Castros Entscheidungen“ sei „aus den objektiven nationalen und internationalen Bedingungen seines Kampfes abzulesen“, schrieb Enzensberger seinerzeit im zeitgenössischen Jargon des linken Milieus Westdeutschlands. „Auf den zunehmenden Druck des Imperialismus von außen und die Verschärfung des Klassenkampfes im Innern waren nur zwei Reaktionen denkbar: Kapitulation oder die Wendung zum Sozialismus.“

Die Bewunderung der großen Mehrheit der linken Intelligenz im Westen für die charismatische Führungsriege um Fidel und Che hielt jedenfalls auch noch an, als ihre Annäherung an den Sozialismus sowjetischer Prägung immer deutlicher wurde. Denn viele sahen in Kuba ein Vorbild für die Befreiungsbewegungen der armen Länder des Südens, und man beklatschte daher Che, als er ausrief: „Wir brauchen zwei, drei, viele Vietnam!“ Der Machtmensch Castro verhielt sich taktisch geschickter als der ungestüme Che, dessen Bruch mit Comandante en Jefe nicht zuletzt mit der Verbrüderung Kubas mit Moskau zusammenhing. Che dagegen bevorzugte eine Annäherung an das chinesische Modell.

Es gibt ein Foto vom Besuch Jean-Paul Sartres in Kuba, das Hans Christoph Buch in seiner Erzählung „Tod in Havanna“ beschreibt: Der müde wirkende Philosoph fächert sich Luft mit einem ausgefransten Strohhut zu, während sich Fidel Castro, in Khakihosen und Schnürstiefeln, in gebückter Haltung an einem defekten Kühlschrank zu schaffen macht. Er schließt mit dem Schraubenzieher ein Elektrokabel an, und Sartre schreibt in sein Notizbuch, dass Fidel kein Volkstribun sei, sondern jemand, der vom Volk lerne.

So aufgeschlossen und tatkräftig wollte sich Fidel Castro der Öffentlichkeit präsentieren. In einem neuen Fotoband mit zum Teil unveröffentlichten Aufnahmen Alberto Kordas wird das lässige Sich-in-Szene-Setzen der barbudos, der bärtigen Rebellen, noch einmal augenfällig vorgeführt: Korda, der eigentlich Modefotograf war, setzte anstelle weiblicher Schönheiten nun Castro und Co. in Pose. Und gerade der junge, groß gewachsene Fidel war ein geborenes Model. Auf anderen Fotos, auf denen man stolze, entrückte Gesichter der Menschen bei Revolutionsfeiern und Massenaufmärschen sieht, zeigt sich aber auch, was für magische Zeiten die Jahre des Umbruchs nach der Revolution waren, was für erhabene Momente sich im Leben der einfachen Kubaner abspielten.

Um den „neuen Menschen“ zu schaffen, förderte die sozialistische Regierung ganz gezielt das Kulturwesen; von 1959 bis 1968 wurden in Kuba immerhin 68 Romane veröffentlicht – in jener Zeit eine unverstellbare Zahl, egal für welches benachbarte Land. An diese ersten Jahre der Revolution, die in Kuba als década prodigiosa, als „wunderbares Jahrzehnt“, bekannt sind, denken auch kubanische Kulturschaffende heute noch gern zurück, die dem Regime längst den Rücken gekehrt und das Land verlassen haben.

„Es war eine Zeit voller Enthusiasmus“, erinnert sich der Verleger Pío Serrano ohne Gram, obwohl er später mit der sozialistischen Regierung brach und nach Spanien auswanderte. Auch der 1979 in die USA emigrierte Schriftsteller Edmundo Desnoes schwärmt immer noch von der „Intensität der Erfahrungen der ersten Revolutionsjahre“. Desnoes ist der Autor von „Erinnerungen an die Unterentwicklung“, der Romanvorlage des gleichnamigen kubanischen Filmklassikers. In dem Buch beobachtet ein allein auf Kuba zurückgebliebener Bourgeois die gesellschaftlichen Umwälzungen aus der Distanz, ohne sich selbst aktiv einzumischen: „Ich gehe die Straße entlang und höre Dinge, die ich nicht begreife. Die Revolution hat uns einen neuen Wortschatz gebracht. Wörter, die ich nicht verwende. Wenn ich mich weiter so von den Leuten fernhalte, wird der Tag kommen, an dem ich nichts mehr verstehe.“

Andere kamen dafür von weit her, um mit Hand anzulegen: „Diese Ausländer, die sich photographieren ließen / auf den Zuckerfeldern von Oriente, das Messer hoch / erhoben, die Haare verklebt, das Kattunhemd steif / von Sirup und Schweiß: Überflüssige Leute!“, dichtete Hans Magnus Enzensberger. Er war der bekannteste deutsche Revolutionsreisende, besuchte die Insel allerdings erstmals im Januar 1968 – als schon längst Schatten schwerer Gewitterwolken über dem „tropischen Sozialismus“ lagen. Es sollte zehn Jahre dauern, bis Enzensberger im Versepos „Der Untergang der Titanic“ expliziter darauf einging, warum ihm der Glaube an das Versprechen einer besseren sozialistischen Gesellschaft auf Kuba allmählich verloren gegangen war:

„Es schwankte die Insel Kuba nicht unter unsern Füßen. Es schien uns, als stünde etwas bevor, etwas von uns zu Erfindendes. Wir wussten nicht, dass das Fest längst zu Ende und alles Übrige eine Sache war für die Abteilungsleiter der Weltbank und die Genossen der Staatssicherheit, genau wie bei uns und überall sonst auch.“

1968, das Jahr des langen Enzensberger-Aufenthalts, bedeutete auch für Kuba einen tiefen Einschnitt. Nur ein Jahr zuvor war Ché Guevara in Bolivien gefallen, im Frühjahr 68 marschierten schließlich die russischen Panzer in Prag ein, während auf Kuba die verbliebenen kleinen Privatbetriebe verstaatlicht wurden, darunter auch das Studio Korda des Fotografen Alberto Korda. „Für mich war das Jahr 1968 die Wende“, sagt Pío Serrano. Weil er seinen Unmut öffentlich äußerte, musste Serrano vier Jahre lang auf dem Land Strafarbeit verrichten, bevor er das Land verlassen durfte.

Für andere war spätestens Anfang der Siebzigerjahre der Endpunkt einer Entwicklung erreicht, die sich mit der Einrichtung von Umerziehungslagern für Andersdenkende und Homosexuelle und einer zunehmend dogmatischen Kulturpolitik bereits Ende der Sechzigerjahre angebahnt hatte. 1971 wurde dem Schriftsteller Herberto Padilla der Prozess gemacht, bei dem er dazu gezwungen wurde, eine entwürdigende öffentliche „Selbstkritik“ als Konterrevolutionär abzulegen. Ein Jahr später hielt die PCC schließlich ihren ersten Parteikongress ab. „Danach übernahmen die Kulturfunktionäre das Ruder, und die Intellektuellen hatten auf einmal nichts mehr zu sagen“, erinnert sich Edmundo Desnoes.

Seitdem hat die Zahl der ausländischen Intellektuellen, die dem „Castrismus“ standhaft die Treue halten und auf die Erfolge im Bildungs- und Gesundheitssystem verweisen, kontinuierlich abgenommen. Neben dem notorischen Fidel-Freund García Márquez sind das heute vor allem noch Schauspieler wie Gérard Depardieu und Sean Penn.

Im Jahr 1800 landete Alexander v. Humboldt zum ersten Mal auf Kuba und lobte die artenreiche Flora. 2006 besuchten bereits über 115.000 Deutsche die karibische Insel, die meisten kamen zum Strandurlaub. Aber abseits des Pauschaltourismus gibt es auch in Kuba Alternativen. Folgend eine kleine Auswahl.

¿Habla usted español? Nützlich, auch für den Urlaub: Spanischkenntnisse verbessern oder die Fremdsprache in Kuba erlernen. Dazu kann man entweder eine Sprachschule besuchen oder den Kurs auf die Reise mitnehmen im „reisenden Klassenzimmer“: www.idiomas.ch/laender/kuba.html

Mit dem Fahrrad: Passable Straßen gibt es, Treibstoff ist dagegen weniger verfügbar. Kuba scheint sich zu einem echten Geheimtipp für Radeltouristen zu entwickeln. Es gibt viele verschiedene Anbieter, die Touren organisieren, darunter: www.velociped.de; www.weinradel.de; www.wikinger-reisen.de

Anders reisen: Gruppenreisen in den Osten respektive in den Westen der Insel, zum Nationalpark Alejandro de Humboldt, Touren mit Schwerpunkt auf Tanz, Sport oder Zigarrenherstellung sowie Reisen für die ganze Familie bietet der Reiseveranstalter Aventoura an: www.aventoura.de

Für Frauen: Alte Frauen, junge Frauen, dicke Frauen, dünne Frauen, Hausfrauen, Putzfrauen, Frauen aller sexuellen Vorlieben, alleinerziehende Frauen, Ehefrauen: alle dürfen mit auf die Inselrundfahrt. Einzige Bedingung ist: Duzen müssen sie sich, und nett sollen sie sein. Mehr unter: www.frauenunterwegs.de

Wer sich seinen Weg lieber selber suchen will: Der Individualreisende hat sich in Kuba an einige Regeln zu halten, findet aber zwischen Staatsverordnung und All-Inclusive noch immer Flecken, die die Reise lohnen. Als Seite nicht hübsch, aber mit umfangreicher Linksammlung: www.kuba.org. Casas particulares, die kubanischen Bead & Breakfasts, sind hier nach Regioen einzusehen: www.cuba-individual.com

Neue internationale Kuba-Literatur:Edmundo Desnoes: „Erinnerungen an die Unterentwicklung“, Suhrkamp Verlag 2008, 154 Seiten, 12,80 Euro (deutsche Erstausgabe des spanischen Originals von 1965!). José Ponte: „Der Ruinenwächter von Havanna“, Antje Kunstmann Verlag 2007, 240 Seiten, 19,90 Euro. Amir Valle: „Die Wörter und die Toten: Nachruf auf eine Revolution“, Edition Köln (2007), 376 Seiten, 18,90 Euro, sowie „Habana Babilonia: Prostitution in Kuba. Zeugnisse“, Edition Köln 2008, 344 Seiten, 16,90 Euro. „Kuba. Bilder einer Revolution“, herausgegeben von Harald Falckenberg, Philo Fine Arts Verlag 2008, 280 Seiten, 64 Euro. Cristina Vives und Mark Sanders (Hrsg.): „Alberto Korda. Conocido Desconocido“, La Fabrica Editorial (2008), 440 Seiten, 60 Euro.

Hans Magnus Enzensberger: „Der Untergang der Titanic“, Versepos von 1978, Auszug: „Wir suchten etwas, hatten etwas verloren Auf dieser tropischen Insel. Das Gras wuchs über die abgewrackten Cadillacs. Wo war der Rum, war waren die Bananen geblieben? Etwas anderes hatten wir dort zu suchen – schwer zu sagen, was es eigentlich war –, doch wir fanden es nicht in jener winzigen neuen Welt, wo alles vom Zucker sprach, von der Befreiung, von einer Zukunft, reich an Glühbirnen, Milchkühen, nagelneuen Maschinen.“ ALA, OLE

In der jüngsten auf Deutsch erschienen Kuba-Literatur ist dagegen der Tod das zentrale Motiv – sei es der des überkommenen Systems, sei es der von dessen greisen Führern: ob in der Erzählung „Tod in Havanna“ von Hans Christoph Buch, im Krimi „Die Wörter und die Toten – Nachruf auf eine Revolution“ von Amir Valle oder im „Ruinenwächter von Havanna“ von José Ponte, wo die baufällige Hauptstadt Kubas zum Symbol wird für das marode System mit seinen tattrigen Führungsfiguren.

Hans Christoph Buch geht sogar so weit, Fidel Castro als „Herrn der Finsternis“ in einem Atemzug mit dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet zu nennen, und kommt zu dem doch sehr fragwürdigen Schluss: „Mit Sicherheit hat Fidel Castro mehr Menschenleben auf dem Gewissen als Augusto Pinochet.“ Relativierend schiebt Buch hinterher, dass eine endgültige Klärung des Sachverhalts erst dann möglich sein werde, „wenn Kubas Archive geöffnet sind, womit in nächster Zeit nicht zu rechnen ist – am wenigsten unter Raúl Castro, dem langjährigen Geheimdienstchef“.

Sicher ist, dass sich Kuba irgendwann der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit stellen muss. Und das wird auf lange Sicht wohl auch die neue Regierung unter Raúl nicht verhindern können, selbst wenn es ihr eigenes Ende bedeuten sollte. Sinnvoll wäre es, wenn diesem schmerzvollen Prozess eine nationale Aussöhnung vorausgehen würde, wofür die Zeichen zurzeit nicht schlecht stehen. Sogar einst ultrakonservative Miami-Exilanten schlagen mittlerweile versöhnlichere Töne an und verkünden, die Veränderung auf Kuba müsse von innen kommen.

Tatsächlich verschaffen sich in Kuba zivilgesellschaftliche Stimmen allmählich Gehör: Es begann 2007 mit der überwiegend über E-Mails geführten Debatte über das „graue Jahrfünft“ Anfang der Siebzigerjahre, an der über hundertzwanzig kubanische Kulturschaffende und Wissenschaftler teilnahmen; und mittlerweile zählen internationale Medien die Bloggerin Yoani Sánchez regelmäßig zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten Lateinamerikas. Doch ob die auf Kuba verbliebene Intelligenz es allein schaffen kann, die autokratische Führungsriege zu tiefer greifenden Reformen zu bewegen, ist fraglich.

Dafür wird es vermutlich der Hilfe und des intellektuellen Potenzials der kubanischen Diaspora bedürfen. Viele Musiker, wie Raúl Paz und der frühere Habana-Abierta-Sänger Kelvis Ochoa, leben nach Jahren im Exil wieder auf Kuba. Im Falle renitenter Schriftsteller und Intellektueller zeigt sich die kubanische Führung aber auch nach dem Rückritt Fidels bisher wenig kompromissbereit: Während José Ponte wie auch Amir Valle in ihrer Heimat weiterhin als unerwünschte Personen gelten, darf der neue Roman von Edmundo Desnoes, „Memorias del Desarrollo“, „Erinnerungen an die Entwicklung“, in Kuba nicht veröffentlicht werden, weil er Castro-kritische Passagen enthält.

Doch Desnoes hofft trotzdem auf einen Dialog. Und vielleicht ist es wirklich die einzige Chance der sozialistischen Regierung, sich gegenüber den gesprächsbereiten Kubanern im Exil zu öffnen. Desnoes benutzt gern die Metapher eines Baumes, zu dem alle Kubaner gehören, egal wo sie leben. „Nur unter der Einbeziehung aller Kräfte, die Reformen wollen“, meint Desnoes, „wird eine sinnvolle Debatte darüber stattfinden, wie das System transformiert werden kann, ohne dass dabei alle Errungenschaften der Revolution verloren gehen.“

Eine offene Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes wäre auch eine notwendige Vorbereitung auf den Fall, dass Barack Obama Raúl Castro doch die Hand zur Versöhnung reicht und sich zu dem längst überfälligen Schritt entscheidet, die Wirtschaftsblockade endlich aufzuheben. Denn dann wird man nicht mehr Washington allein die Schuld an der prekären ökonomischen Lage der Insel zuschieben können.

OLE SCHULZ, Jahrgang 1968, ist Historiker und Autor aus Berlin. Weil für ihn das Kapitel Kuba längst noch nicht abgeschlossen ist, reist er regelmäßig auf die Insel