„Keinen Sinn, sich tot zu sparen“

Klimaschutz und Konjunkturprogramm, Schulreform und Stadtwerke: GAL-Fraktionschef Jens Kerstan über acht Monate Schwarz-Grün und neue Schulden zu Lasten künftiger Generationen

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Kerstan, nach acht Monaten vermittelt Schwarz-Grün trotz Moorburg, Elbphilharmonie und Möbel-Höffner den Eindruck einer Kuschelkoalition …

Jens Kerstan: Wir kuscheln nicht, wir gestalten. Aber das machen CDU und GAL in der Tat auf der Basis von Vertrauen und Gleichberechtigung.

Beim grünen Herzensprojekt Schulreform gibt es von der CDU-Basis aber keinen Beifall.

Die Reform, wie sie jetzt umgesetzt wird, ist ein Kompromiss. Insofern ist die Primarschule ein schwarz-grünes Projekt. Dass in der CDU darüber diskutiert wird, begrüße ich.

Diese Debatte aber betont ausschließlich den Widerstand gegen diese Reform.

Das wird sich geben. Und der Bürgermeister hat ja deutlich gemacht, dass er zu 100 Prozent hinter dieser Reform steht.

Das war ein Machtwort von oben.

Für seine Debattenkultur ist jeder Koalitionspartner selbst verantwortlich.

Hamburgs Haushalt steht auf tönernen Füßen. Welche Projekte werden nicht realisiert oder verschoben?

Da haben wird schon um Einzelfälle gerungen, das ist richtig. Im Ergebnis aber entfällt nichts. Im Gegenteil, wir werden im Rahmen des gerade vorgelegten Konjunkturprogramms viele Vorhaben zeitlich vorziehen. Es hat doch keinen Sinn, sich tot zu sparen. Investitionen – zum Beispiel in die Schulsanierung, Wohnungsförderung, Klimaschutz – sind sinnvoll, weil sie Werte schaffen.

Man muss sie aber auch bezahlen. Wie soll das gehen – auf Pump?

Es wird viel darüber diskutiert, dass eine begrenzte Kreditaufnahme durchaus sinnvoll sein kann, wenn Investitionen vorgezogen werden. Dann entfällt sie in späteren Jahren.

Klingt nach Tabubruch. Bislang hieß es, neue Schulden seien eine Versündigung an nachfolgenden Generationen; jetzt ist alles halb so wild?

In dieser weltweiten Krisensituation darf man nicht die Hände in den Schoß legen. Man muss gegensteuern. Und das tut man am besten, indem man in bleibende Werte investiert und dadurch lokale und regionale Wirtschaftsförderung für das Handwerk und den Mittelstand betreibt.

Ist das Klimaschutzprogramm mehr Wirtschaftsförderung oder Umweltschutz?

Unser Klimaschutzprogramm ist erstens sehr ambitioniert und geradezu vorbildlich für andere Bundesländer. Zweitens konstruieren Sie jetzt eben den Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie, den wir Grüne überwinden wollen.

Dieser Kurswechsel würde aber eine dezidiert grüne Wirtschaftspolitik voraussetzen: weg von den klassischen Sektoren Hafen, Logistik, Airbus und andere Großindustrien, hin zu Handwerk und Mittelstand.

An den klassischen Bereichen, die Hamburg stark gemacht haben, wird nicht gerüttelt, die anderen aber müssen stärker gefördert werden. Dazu gehören im Übrigen auch die Kreativbranche und die Erneuerbaren Energien.

Stichwort Hamburg Energie: Ein Stadtwerk soll Hamburg bald mit sauberer Energie versorgen und die Einnahmen in der Stadtkasse lassen, statt bei Eon oder Vattenfall.

Das erste Angebot für Strom ohne Atom und Kohle wird es schon 2009 geben. Zudem wird jetzt der Erdgasvertrag für öffentliche Gebäude mit Eon Hanse gekündigt. In der Neuausschreibung zum 1. 1. 2010 wird die Versorgung mit Biogas gefordert. Das ist eine weitere Maßnahme für Förderung und Einsatz klimafreundlicher Energie. Die weiteren Schritte werden wie verabredet folgen. Am Ziel, weite Teile der Stadt von einem kommunalen Unternehmen klimafreundlich versorgen zu lassen, ändert sich nichts.

Es sei denn, die Finanzen bröckeln weiter – wird Schwarz-Grün dann einen Nachtragshaushalt für 2010 aufstellen müssen?

Davon ist auszugehen.

Und das heißt Kürzungen?

Nein, das ist nicht geplant.

Fotohinweis:JENS KERSTAN, 42, Diplom-Volkswirt, ist Fraktionschef und Haushaltsexperte der GAL. Von 2001 bis 2008 war er stellvertretender Parteivorsitzender.