Im Supermarkt der Zusatzstoffe

Am Hamburger Großmarkt befindet sich das weltweit erste Museum für die chemischen Helfer der Lebensmittelindustrie. Sie machen Nahrungsmittel haltbarer, billiger und leichter zu verarbeiten. Laufend werden Neue erfunden

VON KNUT HENKEL

Kaum jemand kennt sie, die kleinen Helfer der Lebensmittelindustrie. Emulgatoren, Enzyme, Aromastoffe und Co. spielen eine immer größere Rolle in unserem Essen. Warum das so ist, wo und wie uns deklarierte und nicht deklarierte Zusätze untergejubelt werden, zeigt die Ausstellung des Deutschen Zusatzstoff-Museums. Das ist am Hamburger Großmarkt angesiedelt – wo Gemüse, Obst und Blumen en Gros umgeschlagen werden.

„Dass wir heute mit Schellack Pfirsiche und Äpfel wachsen und einen Stoff essen, aus dem wir früher Schallplatten gepresst und Möbelpolitur gemacht haben, darauf wäre ich nicht gekommen“, sagt Anke Süss. Unverständnis zeichnet sich im Gesicht der Frau ab, doch die Fakten in dem kleinen Glaskasten lassen keinen Zweifel aufkommen. Anke Süss gehört dem Oldenburger Hausfrauenbund an. Gemeinsam mit anderen Frauen ist sie nach Hamburg gereist, um sich das Deutsche Zusatzstoff-Museum anzusehen.

Ethylen lässt die Bananen nachreifen

Dass Obst und Gemüse behandelt werden, um die Haltbarkeit zu strecken, war den Frauen schon bewusst. „Aber wenn man im Detail erfährt wie das gemacht wird, ist das schon etwas anderes“, sagt Marianne Bohmann, Vorsitzende der Oldenburger Sektion des Hausfrauenbundes, und deutet auf die Tafeln an der Wand. Dort ist zu lesen, dass Ethylen Bananen nachreifen lässt und dass 1-Methylcyclopropen den Reifeprozess bei Obst um exakt zwölf Tage verzögert.

Die beiden Chemikalien sind typische Zusatzstoffe, die genauso wie etliche tausend andere in unsere Lebensmittel gelangen, um sie länger haltbar, besser verarbeitbar und oftmals auch billiger zu machen. Die Liste der kleinen Helferchen der Lebensmittelchemiker ist ausgesprochen lang. Mehr als eine repräsentative Auswahl haben die beiden Spezialisten Udo Pollmer und Georg Schwedt, die die Ausstellung konzipierten, an ihrer Schauwand nicht unterbekommen: 120 von mehr als 3.000 Aromastoffen, Enzymen, Farbstoffen und Geschmacksverstärkern, die die Branche kennt.

Ständig werden neue Helferlein erfunden

Deren Zahl steigt beständig. Rund um den Globus sind Lebensmittelchemiker auf der Suche nach neuen Aromen, neuen Konservierungs-, Verdickungs- oder Trennmitteln, um unsere Essen noch besser verarbeiten zu können, noch exakter den Geschmack der Kundschaft zu treffen und noch billiger produzieren zu können.

Wie ein Supermarkt ist das kleine Museum, das Ende Mai auf dem Hamburger Großmarkt eröffnet wurde, aufgemacht. Elf verschiedene Einkaufsstationen wurden auf Plastikfolie gebannt an die Wände geklebt. Nach der Obst- und Gemüseabteilung kommt das Kühlregal mit den Milchprodukten, dann das Brotregal, bis man am Ende des kleinen Rundgangs vor der Tiefkühltruhe mit den eiskalten Fertiggerichten in neutraler gräulich-weißer Verpackung steht. Überall sorgen plakative Beispiele dafür, dass die Besucher einen schwer verdaulichen Einblick in die industrielle Produktion unserer Lebensmittel erhalten.

Echtes Aroma ist 150-mal teurer als künstliches

Beim Joghurt lässt sich trefflich darstellen wie fein, aber auch wie kostspielig die Unterschiede sind. So kostet naturidentisches Himbeeraroma für die Produktion von 100 Kilogramm Joghurt etwa acht Cent, ein natürliches Aroma Typ Himbeere hingegen 3,75 Euro. Das natürliche Himbeeraroma liegt schon bei 12,50 Euro und die frischen Himbeeren schlagen mit satten 31,50 Euro zu Buche. Das spottbillige naturidentische Aroma kommt – wie unschwer zu erraten ist – aus dem Chemielabor, der fruchtige Himbeergeschmack des natürlichen Aromas Typ Himbeere wird hingegen aus den Spänen der Zeder gewonnen. Erst das natürliche Himbeeraroma ist zu immerhin 90 Prozent auch wirklich aus Himbeeren gewonnen und daher auch deutlich teurer.

Die Kunden werden an der Nase herumgeführt

„Eines von vielen plastischen Beispielen wie der Kunde vom Hersteller und Gesetzesgeber an der Nase herumgeführt wird“, kommentiert der Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer. Er hält im Museum hin und wieder äußerst unterhaltsame Vorträge und erklärt wo die Geschmacksnuancen in den Fertiggerichten zumeist herrühren.

Beispielsweise gibt es den italienischen Fischfond – Zutat für so manches vermeintlich maritime Gericht aus der Tiefkühltruhe – im Deutschen Zusatzstoff-Museum im praktischen kleinen Plastikbehälter. „Aroma“ ist auf dem bunten Etikett auf milchigweißem Behältergrund zu lesen. Gleich daneben steht das Fläschchen mit dem aromatischen Pulver von Zitronengras-Ingwer, welches dem Konsumenten die kulinarischen Wonnen der asiatischen Küche vorgaukelt und dem Hersteller erhebliche Kosten spart.

Einen deftigen Fleischfond selbst herzustellen ist um ein Vielfaches teurer, als einen Brühwürfel ins Wasser zu werfen, der gerade einmal acht Cent kostet. Der kommt vorzugsweise bei der Herstellung von Fertiggerichten zum Einsatz und Geschmacksverstärker sind in aller Regel mit von der Partie.

Der berüchtigte Turbo unter den Geschmacksverstärkern heißt Glutamat und viele Menschen reagieren auf den Konsum mit dem so genannten China-Restaurant-Syndrom. Kopfschmerz, Hautausschlag und Schläfendruck sind die bekannten Folgen.

Der Turbo unter den Geschmacksverstärkern

Heute wird das Schwergewicht der Geschmacksverstärker unter so unverfänglich klingenden Etiketten wie „Würze“, „Hefeextrakt“ oder „Sojahydrolysat“ versteckt. Das führt die Kunden in die Irre, wie auch Foodwatch, die Berliner Lobbyorganisation für bessere Lebensmittelkontrolle und -qualität, wiederholt kritisiert hat.

Die Kritik teilt auch Udo Pollmer, der sich als Autor und Leiter des europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E.) seit einigen Jahren auf die Spur der Zusatzstoffe geheftet hat. Mit dem Museum wollen er und sein Kollege Georg Schwedt den Besuchern mit kleinen praktischen Versuchen und harten Fakten einen Einblick in die Nahrungsmittelproduktion unserer Tage liefern.

Ins Museum, nicht in die Nahrung

Bei den Frauen aus Oldenburg kam das gut. „Ein Meilenstein auf dem Weg der Aufklärung“, ist das Museum für Anke Süss. Für ihre Kollegin Irene Wöhrmann stellte sich hingegen die Frage: „Wie komme ich um all die Zusatzstoffe herum?“ Da kann auch Udo Vollmer keine rundum befriedigende Antwort liefern. Schließlich ist heutzutage selbst in mancher Schlagsahne der Stabilisator Carragen drin.