Wurfgeschosse gegen Trittin

Verpackungshersteller und Getränkekonzerne wollen sich mit dem Dosenpfand nicht abfinden. Sie boykottieren die Aufstellung von Rücknahmeautomaten – beißen aber bei Umweltminister Jürgen Trittin auf Granit. Die Frist soll nicht verlängert werden

von HANNA GERSMANN

Bons, Gutscheine, Zettelchen. Viele Verbraucher warten sehnlichst auf ein einheitliches Rücknahmesystem für Dosen und Einwegflaschen, damit Schluss ist mit dem Durcheinander im eigenen Portemonnaie. Im Oktober soll es endlich so weit sein, so war es abgesprochen zwischen Bundesumweltminister Jürgen Trittin und der Wirtschaft. Da kam die Ankündigung der großen Handelsketten und Dosenabfüller, den Aufbau des Rücknahmesystems einfach zu stoppen, überraschend. Der Umweltminister reagierte gestern erzürnt: „Das Dosenpfand steht nicht zur Debatte.“ Nun soll es kommende Woche ein Dosengipfel im Ministerium richten.

Zu verhandeln aber gebe es nichts, machte gestern Trittins Staatssekretär Reiner Baake klar: „Wir werden die Wirtschaft an ihre bisherige Zusage erinnern, bundesweit ein Rücknahmesystem aufzubauen.“ Das sollte eigentlich schon viel früher passiert sein – aber zum Ende des vergangenen Jahres hatte die Industrie den Start durch mangelnde Vorbereitungen verzögert. Handel und Abfüller hatten deshalb versprochen, die Dosenautomaten bis Oktober 2003 überall aufzubauen. Im Gegenzug verzichtet Trittin auf die vollständige Umsetzung der Verpackungsverordnung.

Denn die wird derzeit in zwei Punkten gebrochen. Erstens: Schon wenn der Lkw den Hof des Limoproduzenten verlässt, müsste Pfand erhoben werden. Danach müsste auch der Großhandel blechen – genau wie der Käufer im Land. Pfand auf allen Stufen, so ist es eigentlich vorgesehen. Zweitens: Wer in München auf dem Bahnhof eine Dose kauft, müsste in Berlin das Pfand eigentlich wieder zurückbekommen. Das aber klappt nicht – zum Leidwesen vieler Verbraucher.

Davon offenbar unbekümmert, beklagt die Dosenlobby einmal mehr Rechtsunsicherheit. Deshalb habe es für sie keinen Sinn, Milliarden in die Automaten zu investieren, sagt etwa Peter Traumann von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie im Namen der großen Konzerne – und bezieht sich auf ein Schreiben der EU-Kommission an Trittin. Traumanns Lesart: Die Brüsseler Beamten kritisieren die Pfandpflicht – sie verstoße gegen das europäische Wettbewerbsrecht. „Das aber ist ein Missverständnis“, stellt denn auch EU-Umweltkommissarin Margot Wallström gestern klar. Denn: Nur angesichts der mangelhaften Übergangslösung hegt die Kommission Bedenken. So fordert sie in dem Brief den deutschen Minister – ganz im Gegenteil – zu raschem Handeln auf.

Über die neue Pfandattacke regelrecht verärgert zeigte sich Michael Müller, der umweltpoltische Sprecher der SPD: „Den Idioten sollte man in den Hintern treten.“ Selbstverpflichtungen der Industrie traue er fortan nicht mehr. Er forderte, Pfandbrecher sofort zu bestrafen. Bis zu 250.000 Euro Bußgeld können die Länderbehörden verhängen – gegen Geschäftsführer der Abfüller und im Handel. Noch gilt die Empfehlung des Bundesumweltministers an die Länder, bis 1. Oktober von solchen Strafen abzusehen. Nach dem Gipfel werde darüber aber neu entschieden, so Baake gestern.

Sogleich drohten die mittelständischen Brauereien: Wenn sich die Regierung nicht an die Pfandpflicht halte, verklagten sie diese auf Schadenersatz. Die nämlich machen ihre größten Umsätze mit Mehrwegflaschen und haben ihre Investitionen längst getätigt.

Eine Option bleibt den Automatenverweigerern doch: Sie listen die Dosen und Einwegflaschen aus – wie jetzt bei Aldi in Mönchengladbach. Dort werden Limo, Apfelschorle und Wässer aus den Regalen verbannt.

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