Debatte: Nordrhein-westfälische Kulturpolitik trotz leerer Kassen
: Sparen allein ist kein Programm

„Soviel Kulturferne des Staates war selten. Hier übt sich der Ministerpräsident in der neuen SPD-Disziplin: Wir müssen uns ehrlich machen.“

Das Abendland sei nicht gleich in Gefahr, wenn ein gewisser Prozentsatz an Landesförderung eingespart werden muss, sagte Nordrhein-Westfalens sozialdemokratischer Ministerpräsident Peer Steinbrück in Wuppertal. Und nicht nur wegen dieses titanenhaften Satzes ging seine kulturpolitische Festrede als Ruinparabel ins bundesweite FAZ-Feuilleton ein. Soviel Kulturferne des Staates war selten. Hier übte sich der Ministerpräsident des größten Bundeslandes unserer Kulturnation in der neuen SPD-Disziplin: Wir müssen uns ehrlich machen.

Auf geht‘ s: Pro NRW-EinwohnerIn sieht der Landesetat ganze sieben Euro für Kulturförderung vor. Für die Landeskultur stehen so jährlich gerade einmal 126 Millionen Euro zur Verfügung. Ehrlich. Dabei tragen die Kommunen den Löwenanteil der Kulturkosten in Nordrhein-Westfalen – auch mit Mitteln aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG). Aber bleiben wir beim Land: Sieben Euro pro BürgerIn pro Jahr für die Kultur sind auch 0,27 Prozent des NRW-Etats. Mehr nicht. Ehrlicher geht‘s nicht. Von den Fakten zum Fake: Plötzlich fordert der rote Koalitionspartner den grünen Kulturminister auf, mehr strategisch und weniger tagespolitisch zu operieren. Klingt gut, zielt aber voll daneben. Die KünstlerInnen in NRW sollten nicht so divenhaft jammern – schließlich werde überall gespart. Wer jammert eigentlich wo? Der Ministerpräsident fabulierte in seiner denkwürdigen Rede kennerhaft von der Lust am eigenen Leiden. Nicht lachen – es bleibt stecken!

Als ob es in den letzten Monaten nicht unzählige Gespräche mit fast allen Kulturschaffenden des Landes gab, in denen über Zukunftsstrategien beraten und die Sparnotwendigkeiten ehrlich erläutert wurden. Und nun fordern ein paar Rote: Wir müssen uns ehrlich machen – mehr Strategie bitte! Sollt ihr haben: Solange wir in NRW 44 Millionen Euro in die Planungen des Metrorapid auf Nimmerwiedersehen versenken können – allein davon hätte man die 65 Soziokulturellen Zentren in NRW statt der heute zur Verfügung stehenden 130.000 Euro rund 88 Jahre mit den erforderlichen 500.000 Euro pro Jahr fördern können – solange ist die Kulturpolitik in NRW (gerade auch die der GenossInnen!) strategisch gefordert. Und jedeR weiß: Ein Euro in die Kultur investiert, setzt drei Euro um.

Jetzt mal ehrlich: Sparen allein ist kein Programm. Strukturreformen sind nur durch gezielte Mehrausgaben – auch Umschichtungen! – erreichbar. Wenn ich etwas nachhaltig verändern will, muss ich in die Zukunft investieren – und zwar Zeit und Geld. Über die Kulturförderung in NRW haben SPD und Grüne sich im Koalitionsvertrag verständigt. Doch die dort vereinbarte Allianz für Kreativität ist in Gefahr. Sie muss weiter entwickelt werden. Weil Bildung und Kultur direkt zusammen hängen, stimmt die politische Forderung, mehr in Kultur und kulturelle Bildung zu investieren. Archive, Bibliotheken, Gedenkstätten, Theater und Museen sind auch kulturelle Bildungsstätten, die Erfahrenes erlebbar und Erlebtes erfahrbar machen. Kultur ist eben viel mehr als ein Standortfaktor. Kultur ist Lebenselixier, nachzulesen im Grünen Grundsatzprogramm, Seite 109. Geld für Kultur ist keine Subvention für Notleidende, sondern Investition in unsere gemeinsame Zukunft. Deshalb stimmt Richard von Weizsäckers Aussage „Kultur ist das eigentliche Leben“. Damit ist klar, dass es, wie bei allen anstehenden Entscheidungen im Abendland, auch hier ums Ganze geht. OLIVER KEYMIS