Visionen mit einem Hauch von Ironie

Bilder ohne Monumentalisierungen: Die Glückstädter Galerie Freiraum zeigt längst verloren geglaubte Fotos der Revolution in Kuba

Ikonische Inszenierungen von Fidel CastroBild des nachrevolutionären Lebens entworfen

von Hajo Schiff

So manche Ladung aus der Karibik mag in der von Dänenkönig Christian IV. 1617 gegründeten Hafenstadt angekommen sein. Doch nicht Rum hatte Dieter Späth im Sinn, als er im Februar dieses Jahres einige Seekisten aus Kuba öffnete: Der Galerist aus Glückstadt entdeckte verloren geglaubte Schwarzweiß-Fotos aus den ersten Jahrzehnten der Revolution.

Das ist zwar eine schöne Geschichte, aber beileibe kein Zufall. Denn Dieter Späth befasst sich schon länger mit Cuba und bringt diese Leidenschaft seit kurzem in die Galerie Freiraum ein, die der Profifotograf Manfred Horender 2001 in einem alten Glückstädter Hafenspeicher gegründet hat. Der jetzt wiederentdeckte und in einer Reihe von Ausstellungen gezeigte Fotoschatz stammt aus dem Besitz der „Freundschaftsgesellschaft BRD-KUBA e.V.“ und wurde von dem seit über 30 Jahren bestehenden Verein der Glückstädter Galerie zur Erfassung und Aufarbeitung übergeben. Doch was macht neben der immer noch aktivierbaren Begeisterung für das kubanische Modell nun die Qualität der Fotos aus? Da gibt es zum Beispiel – erwartungsgemäß – geradezu ikonische Inszenierungen von Fidel Castro als Kämpfer oder zusammen mit Hemingway aus dem Zyklus „Die ersten Jahre der Revolution“ des ehemaligen Modefotografen Alberto Korda. Besondere Dokumente sind auch die – teils nachgestellten – Momente der Revolution, wie der jubelnde Einzug in Havanna oder die Besetzung einer Plantage der United Fruit durch revolutionäre Kavallerie. Ähnliche Bilder wie diese des 1925 geborenen Raúl Corral Varela, genannt Corrales, sind schon vor Jahren für 17.000 US-Dollar versteigert worden.

Sicher war die Fotografie nach dem Sieg der Revolution am 1. Januar 1959 nicht nur für den großen Anteil der Analphabeten Informations- und Agitationsmittel. Doch zu Monumentalisierungen wie im osteuropäischen Sozialismus kommt es auf diesen Bildern kaum. Auffällig ist, dass fast alle hier gezeigten Bilder Teile von Serien sind, also den Reportagecharakter betonen und für die eigenen Bürger und Präsentationen im Ausland ein Bild des neuen, nachrevolutionären Lebens entwerfen. Für eine Fotografie im revolutionären Umfeld angemessen, werden einfache Menschen hier zu würdigen Protagonisten, bei dem Zyklus „Die Leute aus meinem Viertel“ von Tito Alvarez wird sogar der Hund mitporträtiert. In der Serie „Der Schweiß der Millionäre“ beobachtet Leovigildo Gonzales die Zuckerarbeiter mit dem gleichen Interesse, mit dem Luís M. Fernandes, genannt Pirole, die nächtlichen Feuerwerksfestivitäten der weihnachtlichen „Las Parrandas“ in Remedios festhält. Aber auch eine leise Ironie durchzieht manche Bilder, sei es das Einbahnstraßenschild „Solo Entrada“ vor dem Friedhof in einer Serie von Rogelio Lopez Martin, genannt Gory, oder die massenhaften Devotionalien-Büsten des Dichters, Unabhängigkeitskämpfers und Nationalhelden José Martí in einem Bild von José A. Figueroa.

Doch so interessant der Blick zurück auch ist, er bleibt historisch. Einige der Fotografen leben inzwischen in Miami, und eine jüngere Generation geht weitaus dynamischer mit dem Medium um. So will sich auch die Galerie Freiraum nicht auf die Verherrlichung alter Zeiten beschränken. Die nächste Ausstellung „Tropicana - Schule der Schönen“ wird einen Reportage-Blick hinter den Vorhang des berühmtesten kubanischen Cabarets bieten, und 2005 ist der 1971 geborene Cristobal Herrera Ulashkevich, Fotograf für Associated Press in Havanna, in Zusammenarbeit mit dem ebenfalls an Fotografie sehr interessierten Glückstädter „Palais für Aktuelle Kunst“ zu einem Arbeitsaufenthalt und Ausstellungen nach Glückstadt eingeladen.

Doch Glückstadt wird nicht einseitig zum kubanischen Stützpunkt: Die Fotoreportage „Leben zwischen gestern und morgen“, die die Betreiber der Galerie Freiraum bei mehreren Besuchen der Insel geschaffen haben, wird nach Kuba zurückgebracht und im Herbst als Beispiel für den Blick von außen in der dortigen staatlichen Photothek gezeigt.

„Cubanische Fotografie 1959 bis 1986“, Galerie Freiraum, Am Hafen 1, Glückstadt / Elbe; Fr–So 14–18 Uhr und nach Vereinbarung, Tel.: 04124-980350; noch bis 25. April. Historisches Katalogheft der Freundschaftsgesellschaft BRD-KUBA wird gegen eine Spende von 10 Euro abgegeben; www.galerie-freiraum.com