Im Lande der Container

Der US-Botschafter residiert am repräsentativsten: in einem extrabreiten Container

aus Kabul BERNARD IMHASLY

Das britische Kontingent der internationalen Schutztruppe Isaf ist auf dem Kabuler Flughafen stationiert. Es ist für dessen Bewachung zuständig. Die Soldaten haben neben ihrem Wohnquartier aus Spaß ein halbes Dutzend zerbeulte und löchrige Container übereinander gestapelt. Der Turmbau ist nach dem Kontrollturm das höchste Gebäude auf dem Flughafengelände.

Man könnte dieses Baukastensystem zum Wahrzeichen des neuen Afghanistan erklären. Wo vor einem Jahr noch die rostenden Trümmer zerstörter Flugzeuge und Panzer lagen, breitet sich heute ein Containerfeld aus. Afghanistan muss viele Waren einführen, exportiert aber fast nichts, und da lohnt es sich nicht, die leeren Container wieder abzutransportieren (siehe Kasten).

Die vielen Schlepper, Transporter, Gabelstapler, die in den Alleen zwischen den Metallklötzen herumfahren, sind in olivgrünen und braunen Tarnfarben gestrichen. Es sind die Isaf, die UNO und die zahlreichen NGOs, die hier ihren Terminal aufgebaut haben. Sie sind die wichtigsten Wirtschaftsträger des Landes.

Im letzten Jahr flossen über sie 1,3 Milliarden US-Dollar in den Aufbau des Landes – das staatliche Budget betrug lediglich 300 Millionen Dollar. Es gibt nur ein Privatunternehmen, das auf dem Flughafen ein eigenes Container-Areal hat. Die Firma nennt sich Supreme Foodservices AG, das AG deutet an, dass sie in der Schweiz registriert ist. Sie macht ihr Geschäft mit dem Krieg; überall, wo Truppen zum Einsatz kommen, im Kosovo, in Bosnien oder nun in Afghanistan, ist die Firma zur Stelle, um die Truppen mit Nahrungsmitteln und Wasser zu beliefern.

Mehr will Percy Damien nicht sagen. Der General Manager ist misstrauisch und scheint keinen Unterschied zu machen zwischen einem Journalisten und einem Spion der Konkurrenz. Nach fünf Minuten komplimentiert er einen aus der Lagerhalle hinaus, und es bleibt nur der Blick auf die Aufschriften der Container – „dry“ heißt es dort, „perishable“ – verderblich – oder „Mineral Water“.

Die Geheimnistuerei ist wenig plausibel, denn vor dem Lager hat Supreme eine Baracke aufgestellt, in der der erste Duty-free-Laden Kabuls eingerichtet ist. Hier können die mehreren tausend Ausländer – UNO-Beamte, NGO-Vertreter, Diplomaten, Isaf-Offiziere – ihr Heimweh mit Spirituosen, Schokolade und Putzmitteln stillen.

Aber die Container zeigen nicht nur die gigantische Hilfsmaschine, die gegenwärtig im Land läuft. Sie sind vor allem ein Wahrzeichen für die Afghanen. Diese sind ja, aufgrund der Geografie und wenig ergiebiger Böden, Transit- und Transportspezialisten. Den Beweis lieferten sie in Pakistan, wo Millionen Afghanen im Bürgerkrieg Zuflucht suchten. Sie verdingten sich als Lastkraftfahrer, leasten Fahrzeuge, die kein Pakistaner mehr fahren wollte, bedienten Regionen, die jedem anderen zu unsicher waren.

15 Jahre später beherrschen Afghanen, inzwischen aus den Flüchtlingslagern in die Villen der „University Town“ der Grenzstadt Peschawar gezogen, den pakistanischen Fernhandel. Und seit dem Ende der Taliban sitzen sie wieder in den Kabinen ihrer langen 40-Tonner, mit 12-Meter-Containern auf der Ladefläche hinter ihnen, und bedienen ihre Heimat.

Sie fahren durch die zerklüfteten Bergtäler, auf Straßen, die seit 40 Jahren keinen frischen Belag mehr bekommen haben und oft eher Bachbetten als einem „National Highway“ gleichen. Zwischen Khost und Gardez machten sie bereitwillig den vielfarbigen flinken Lastwagen aus Pakistan Platz, die, mit Bettgestellen, Truhen, Tuchballen und Metallschränken überladen, Flüchtlinge zurückbrachten.

600.000 Flüchtlinge sind in den letzten zwölf Monaten allein nach Kabul gekommen. Für jene, die vom Khyber-Pass herkommend weiterziehen, hat das UNO-Flüchtlingswerk Durchgangslager erstellt – zur Orientierung und um Notrationen und eine Grundausstattung von Saatgut und landwirtschaftlichem Gerät zu verteilen. Sie bekommen auch ein paar Afghanis in die Hand gedrückt, damit sie in ihren oft zerstörten Dörfern ein neues Leben beginnen können.

In der Nähe haben findige Unternehmer alte Container herangeschafft. Sie vermieten sie an Flüchtlinge, die genug Erspartes haben, um hier einmal für einige Wochen oder Monate eine Rast einzulegen und dann weiterzusehen. Auch diese Container repräsentieren ein Stück Afghanistan, wenn man etwa an die Übersetzungsvarianten des Worts „contain“ denkt – „umfassen, aufnehmen, Raum haben für“, aber auch „zügeln, in Zaum halten, bändigen“. Und vielleicht ist es ein Gewöhnen an die Wohnung der Zukunft.

In den Randbezirken Kabuls und Kandahars gibt es ganze Straßenzüge von Containern, die als Heimstätten oder Läden dienen. Beim Vorbeifahren meint man zuerst, es seien Häuser, denn die schweren Eisentüren sind aus den Angeln gehoben und wahrscheinlich auf dem blühenden Trödelmarkt abgesetzt worden. Die Seitenwände und Abdachungen sind mit Lehm eingefasst, um die Hitze des Sommers und, noch mehr, die beißende Winterkälte einigermaßen in Schach zuhalten.

Afghanistan ist unbarmherzig nicht nur mit den Opfern von Krieg und Gewalt, sondern auch mit den Siegern.

Wer das Gelände der amerikanischen Botschaft in Kabul betritt, sieht sich plötzlich in einem Container-Terminal. Was früher einmal eine parkähnliche Gartenlandschaft gewesen sein muss, mit dem marmorierten Kasten des Botschaftsgebäudes in der Mitte, ist heute übersät mit Metallkuben und durchkreuzt von Kieswegen, Seil- und Gitterabsperrungen und buchstäblich vernetzt mit hunderten von Kabeln, die auf dem Boden liegen und Licht, Strom zum Kochen und für die Kühlgeräte in die Wohnung bringen.

Der Diplomat K. A., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung genannt haben möchte, ist kürzlich vom Ersten Sekretär zum Botschaftsrat befördert worden und hat diesem Status gemäß einen ganzen Container erhalten. Zuvor musste er einen mit einem Kollegen teilen. Die Residenz des Botschafters ist die repräsentativste – ein handelsunüblicher 18-Meter-Container mit doppelter Breite. Der Zutritt zu A.s Unterkunft ist nicht gestattet, aber er versichert, dass er keine alten Stiche aufgehängt hat. Hinten ein Campingbett, ein Gestell mit einigen Büchern, vorn Klapptisch und -stühle, ein Kochgerät, eine Kaffeemaschine.

Supreme Foodservices AG – ihr Geschäft macht die Firma mit Krieg. Sie versorgt Soldaten mit Nahrung

„Ich verbringe den ganzen Tag von morgens um sieben bis abends spät im Büro. Das State Department weiß, wie man seine Mitarbeiter zur Arbeit anhält“, sagt der Diplomat. Früher konnte er morgens im Garten joggen, jetzt kann er noch ein paar Freiübungen machen.

Beide, Afghanen und Amerikaner, suchen in den Containern Schutz – die einen vor Regen und Schnee, die anderen vor Taliban und al-Qaida. 18 Monate nach der Vertreibung der Koranschüler kommen diese wieder aus ihren Verstecken oder über die Grenze von Pakistan. Es gibt keinen einzigen US-Beamten, der frei in Kabul wohnen darf.

Der Sicherheitsbeauftragte der Botschaft, sagt A., kann inzwischen sogar den Botschafter herumkommandieren, und zwar nicht nur weil er aus dem Pentagon kommt und der Diplomat aus dem State Department. Wer das Botschaftsgelände betritt, wird zuerst in einen dem Lager von Guantánamo ähnlichen Gitterkäfig geführt, wo von allen Seiten Gewehrläufe auf ihn starren. Nach zehn Minuten Telefonieren und Funkverkehr wird er, wiederum durch ein Laufgitter, zu einer Schleuse begleitet und darf endlich den Boden des freien Landes betreten. Dann muss er vor einem Sandbunker mit einer Art Schalter noch einmal warten, während ein blutjunger Soldat in umständlicher Schülerschrift die Personaldaten aufnimmt.

Auf einem riesigen Gelände neben der Botschaft planieren Bulldozer den Boden und gießen Lastwagen mit ihren Drehtrommeln Beton in die Formen. Es entsteht ein neues amerikanisches Botschaftsgebäude, und die Dimensionen des Bauplatzes zeigen, dass die USA nicht davon ausgehen, dass Afghanistan in ein paar Jahren, wenn der Al-Qaida-Schrecken einmal vorbei ist, im internationalen Dämmerlicht wieder verblasst.

„Die Amerikaner sind hier, und sie bleiben hier“, meint ein indischer Diplomat. Und er erzählt von einem kürzlichen Besuch in der Luftwaffenbasis von Bagram, eine Stunde nördlich von Kabul. Dort sind inzwischen, nach den Soldaten und Geheimdienstagenten, den Ingenieuren und Waffenprogrammierern die Gartenarchitekten eingetroffen. Wo vor 18 Monaten noch zerstörte Hangars und Befestigungen lagen, entsteht, hinter dem dreifachen Sicherheitsring, heute eine amerikanische Suburbia-Landschaft, die den Namen einer „Gated Community“ noch mehr verdient als ihr Vorbild in Florida.

Jeden Morgen strömen die türkischen Gastarbeiter aus ihren farbigen Wohncontainern, setzen ihre Helme auf und stellen sich zum Arbeitsrapport auf. Vom Fenster eines nahe gelegenen Hauses lässt sich, über die hohe Bretterwand und die Stacheldrahtrollen hinweg, das Baugelände überblicken, und dahinter sieht man die Umrisse der alten Botschaft. Punkt 8 Uhr ertönt in der Ferne die Nationalhymne der USA, und zwischen den Eukalyptusbäumen kommt das Sternenbanner in den Blick.