„Andere mogeln genau wie wir“

INTERVIEW MATTHIAS URBACH

taz: Frau Professor Kemfert, Herr Doktor Ziesing, was war das Umweltgesetz, das der Wirtschaft am meisten geschadet hat?

Ziesing: Da muss man lange suchen, um so etwas zu finden. Vielleicht war das eine oder andere Gesetz nicht fein abgestimmt. Aber selbst Instrumente, gegen die es immensen Widerstand gab, wie die Großfeuerungsverordnung oder der Katalysator, haben zwar viel Geld gekostet, aber auch Arbeit gesichert. Schon in den Achtzigern haben wir in Studien festgestellt: In der Regel entstanden durch Umweltschutz mehr Arbeitsplätze als verloren gingen.

Sie meinen, Umweltschutz ist für alle vorteilhaft?

Kemfert: Es gibt immer auch Verlierer. Sie schaffen es selten, dass sie nur Gewinner haben. Und dann geraten sie schnell in erbitterte Kämpfe.

Ist das der Grund für das schlechte Image solcher Maßnahmen?

Ziesing: Gehen Arbeitsplätze verloren, ist die Aufregung groß. Entstehen neue Jobs, fällt das nicht so auf. Der Windenergieanlagen-Hersteller Enercon ist eben nicht so präsent wie die Kohlekumpel in den letzten Zechen. Und die Haltung der Verlierer ist verständlich: Was nützt es ihnen, wenn ein anderer profitiert, sie aber Einbußen hinnehmen müssen?

Der nächste große Konflikt rollt schon auf uns zu: Die EU will das Chemikalienrecht komplett reformieren. Werden damit Arbeitsplätze vertrieben?

Ziesing: Ich glaube nicht, dass die Richtlinie am Ende viele Jobs vertreiben wird – dafür ist die Chemieindustrie in der EU auch zu einflussreich.

Sie ist auch besonders geübt darin, ins Ausland auszuweichen.

Ziesing: Auslagerungen sind ja nicht nur schlecht. Es kann sogar auf lange Sicht Beschäftigung sichern, wenn bestimmte Dinge auswärts gefertigt und hier eingebaut werden und damit trotzdem noch zur Wertschöpfung beitragen. Eine neue Studie unseres Instituts ergab, dass etwa die negativen Effekte der Osterweiterung aus diesem Grund eher marginal sein dürften.

Kemfert: Viele Firmen lagern ja auch einfach nur dorthin aus, wo Verbrauchszentren sind. China ist eine expandierende Wirtschaft, es wäre beispielsweise für VW unwirtschaftlich, zu versuchen, diesen Markt nur von hier aus zu beliefern.

Aber hat das Auslagern nicht eine neue Qualität erreicht? Hat die Industrie nicht vielleicht recht, wenn sie sagt: Wir haben genug Umweltschutz gemacht?

Ziesing: Ob wir immer so viel Umweltschutz gemacht haben, das sei mal dahingestellt. Wir haben ja auch in großem Umfang Subventionen in wenig umweltverträgliche Aktivitäten gesteckt – denken Sie nur an die langjährige Subvention der Steinkohle. So zu tun, als seien wir die Weltmeister in kostentreibendem Umweltschutz, das geht an der Realität vorbei.

Kemfert: Umweltpolitik kann ja auch dazu führen, dass mit neu geförderten Technologien Standortvorteile geschaffen werden. Windenergie ist ein Beispiel, andere werden entstehen, von denen wir noch gar nichts wissen.

Sie haben offenbar Probleme, wirtschaftsschädliche Umweltgesetze zu nennen. Der Stromindustrie fällt das leichter: Sie zählen Ökosteuer und Erneuerbare-Energien-Gesetz – das EEG – dazu.

Kemfert: Das EEG trägt natürlich zu etwas höheren Strompreisen bei. Dafür fördert es die Wind-, Solar- und Biogasindustrie – wodurch viele Jobs enstehen. Per saldo ist der Effekt positiv.

Ziesing: Das gilt auch für die Ökosteuer, wie umfangreiche Studien – auch unter Beteiligung meines Instituts – ergaben. Man darf ja nicht vergessen, dass die Ökosteuer die Unternehmen bei den Rentenversicherungskosten entlastet.

Die Industrie beklagt dennoch zu hohe Strompreise.

Ziesing: Ein wenig tragen Ökosteuer, EEG und Emissionshandel natürlich schon dazu bei. Aber die besonders stromintensiven Bereiche sind bei der Ökosteuer weitgehend ausgenommen worden und auch beim Emissionshandel überwiegend nicht mit Minderungspflichten belegt worden. Auch das EEG hat eine Härtefallregelung. Man kann nicht sagen, dass es keine Lasten gibt. Aber das hält sich alles im Rahmen.

Aber in einem müssen Sie mir doch zustimmen: Die Abschaltung der lange abbezahlten Atommeiler wird unsere Stromkosten spürbar erhöhen. Damit hätten wir mit dem Atomausstieg doch ein Gesetz, das der Wirtschaft Kosten aufbürdet.

Ziesing: Okay, das stimmt zum Teil. Die Stromindustrie könnte ohne den Ausstieg ihre abgeschriebenen Meiler länger betreiben – und damit recht billig Strom produzieren. Auch wird der Ersatz der Atomkraftwerke mehr klimaschädliche Emissionen durch Kohle und Gas nach sich ziehen. Doch immerhin vermeide ich das existenzielle Risiko eines verheerenden Unfalls im Kernreaktor – das sollte uns schon etwas wert sein. Es gibt ja genügend Anpassungsstrategien, um die negativen Folgen zu minimieren.

Wie sehr kann man sich nun dem globalen Konkurrenzdruck der Standorte zu weniger Umweltregulierungen widersetzen?

Ziesing: Die Frage ist doch: Wie kreativ geht man mit so was um? Ich habe oft den Eindruck, die Risiko-Aversion, die wir in der Bevölkerung finden, haben wir auch bei den Unternehmern. Warum sagen die nicht: Lasst uns das Problem anpacken. Stattdessen heißt es: Oh weh, da kommt was auf uns zu! Das könnte ein paar Cents kosten – wie können wir nur aus der Verpflichtung fliehen! Das ist wenig kreativ.

Kemfert: Ein Beispiel für kreatives Herangehen wäre BP, British Petroleum. Die haben sich nicht umsonst in „Beyond Petroleum“ umbenannt. BP versucht, die Signale der Gesellschaft aufzunehmen, um sich auch künftig Märkte zu sichern. BP sagt deshalb heute schon klar, wohin diese Zukunft führen wird: „jenseits des Öls“. Das beweist doch: Sich des Treibhauseffektes und der Endlichkeit der Ressourcen bewusst zu sein ist auch ein Kritierium, konkurrenzfähig zu bleiben.

Welches Umweltinstrument ist aus Ihrer Sicht denn besonders wirtschaftsfreundlich?

Kemfert: Eindeutig der Emissionshandel: Es ist das bestmögliche Instrument bei gegebenem Ziel.

Warum war die Industrie dann so sehr dagegen?

Ziesing: Es ist ja in der Debatte oft so, dass die Industrie gegen das Instrument protestiert – und das Ziel meint. Aber volkswirtschaftlich gesehen ist der Emissionshandel eindeutig das Mittel der Wahl, um kosteneffizient Klimaschutz zu betreiben.

Kemfert: Jede Firma kann sich überlegen, ob sie in Klimaschutz investiert, oder ob es billiger ist, Rechte dazuzukaufen. Deshalb wird automatisch dort in Klimaschutz investiert, wo es am preiswertesten ist.

Die Industrie hält es für eine Zumutung, weiter Kohlendioxid einzusparen.

Kemfert: Natürlich haben die Unternehmen die Minimierung ihrer Kosten im Sinn. Das ist ja auch völlig legitim.

Wird der Handel denn nun Jobs kosten?

Ziesing: So wie er jetzt gemacht wird, wird es weder Arbeitsplätze bringen noch kosten, es wird vermutlich gar nicht viel passieren.

Woran liegt das?

Ziesing: Es ist fraglich, ob der Handel überhaupt in Gang kommt. Die Industrie erhält so viele Emissionsrechte, wie sie braucht – vermutlich sogar mehr. Handel gibt es so nur, wenn Nachfrage aus den südeuropäischen Ländern kommt. Und die werden ja im Zweifelsfall genauso mogeln wie wir.

Man müsste am Minderungsziel des Emissionshandels also nachbessern?

Ziesing: In jedem Fall. Die Industrie tut ja so, als sei sie am Ende ihrer Möglichkeiten – und jedes Gramm, das sie noch reduzieren müsste, brächte sie gleich in Probleme. Dagegen sprechen nicht nur viele empirische Belege, sondern auch die Selbstverpflichtung zur Emissionsminderung, die die Industrie vor einigen Jahren freiwillig auf sich genommen hat.

Kemfert: Man muss ja auf der anderen Seite sehen, was den Staat die Umweltprobleme kosten: Nehmen wir die Hochwasserkatastrophe 2002 oder die Hitzewelle im letzten Jahr. Allein die Ernteausfälle: Das sind richtige Jobkiller. Da werden Mittel volkswirtschaftlich gebunden, die sonst Arbeitsplätze schaffen würden. Es kostet eben auch was, die Umweltschäden immer nur zu beseitigen – und nicht präventiv zu arbeiten.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und die Industrie argumentieren so: Die Russen ratifizieren Kioto sowieso nicht, dagegen hätte die deutsche Industrie die Kosten – obwohl sie ohnehin schon Vorreiter sei.

Ziesing: Die Frage nach der Zukunft des Kioto-Protokolls ist berechtigt. Ich war gerade bei einem Treffen mit dem zuständigen Ausschussvorsitzenden der Duma, Herrn Jasew, dabei. Der erklärt eindeutig: Wir ratifizieren Kioto nicht. Denn das russische Bruttoinlandsprodukt werde sich in zehn Jahren verdoppeln – und die Emissionen ebenso.

Nach den USA springt also vermutlich auch noch Russland ab. Aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China sind ohnehin noch nicht von Kioto betroffen. Kann es sich Europa dann leisten, mit dem Emissionshandel vorzupreschen?

Ziesing: Es wäre natürlich günstig, wenn die EU nun beweist, dass man mit dem Emissionshandel vernünftig agieren kann – ohne wirtschaftlich in Schwierigkeiten zu geraten. Der Wirtschaftsraum Europa ist für diesen Versuch wirklich groß genug.

Kemfert: Immerhin haben schon die Amerikaner Anfang der Neunziger gute Erfahrungen mit Emissionshandel gemacht, als sie den Schwefeldioxidausstoß ihrer Kraftwerke senken wollten und dafür Lizenzen austeilten. Die Kosten blieben viel niedriger, als erwartet.

Wäre das also ein Weg, den Klimaschutz trotz aller wirtschaftlichen Widerstände weiterzuführen?

Kemfert: Die Amerikaner haben ja immer schon gesagt: Europa soll eine Führungsrolle übernehmen – wenn die merken, dass das klappt, werden die relativ schnell dabei sein wollen. Vielleicht entstünde daraus ein neuer Schub für den Kioto-Prozess.