Ostdeutschland hat einen Fürsprecher verloren

Regionalkommissar Barnier wollte die Förderung für die alten EU-Mitglieder nur langsam kürzen. Doch jetzt geht er zurück nach Paris

BRÜSSEL taz ■ Wer auf der Internet-Seite der EU-Kommission den neuen Regionalkommissar Jacques Barrot besuchen will, landet bei seinem Vorgänger Michel Barnier. Er habe seine erste Brüsseler Amtsperiode beinah bis zum Ende durchgehalten, teilt der silberhaarige französische Konservative seinen Lesern mit. In seinen beiden Herzensangelegenheiten, der Regionalförderung und der europäischen Verfassung, habe er mitgeholfen, die Weichen für die Zukunft zu stellen. „Wenn Sie mich ab 1. April erreichen wollen, benützen Sie meine neue Adresse: Außenministerium, 37, Quai d’Orsay.“

Natürlich kann Frankreichs neuer Außenminister keineswegs sicher sein, dass die von ihm vorgeschlagene künftige Verteilung der Gelder für Strukturförderung tatsächlich in die Tat umgesetzt wird. Barnier hatte in seiner Amtszeit als Regionalkommissar vielen strukturschwachen Regionen in den alten Mitgliedsländern einen Besuch abgestattet und von der EU geförderte Projekte besichtigt. In den neuen deutschen Bundesländern war er ein häufig gesehener Gast.

Auf der Grundlage dieser Ortstermine war der Franzose zu der Überzeugung gekommen, dass mit Beginn der neuen Finanzperiode 2007 nicht von einem Tag auf den anderen das Geld aus den heute armen Regionen abgezogen wird. Und stattdessen in die noch ärmeren Gebiete in den neuen Mitgliedsstaaten im Osten gepumpt werden darf. Er hatte ein Modell vorgelegt, nach dem in einer langen Übergangsphase die einstigen Empfänger schrittweise aus der Förderung aussteigen sollten, während die neuen Regionen ebenso schonend an den Geldsegen aus Brüssel gewöhnt werden sollten.

Das letzte Wort über die künftige Förderung haben ohnehin die Mitgliedsstaaten. Anfang nächsten Jahres beginnen unter Luxemburger Präsidentschaft die Verhandlungen, und sie werden, wie immer wenn es in der EU um Geld geht, hart und am Nationalinteresse orientiert geführt werden. Bis der Kuchen aber tatsächlich gebacken und verteilt wird, kommt der Kommission bei der Auswahl des besten Rezepts durchaus eine wichtige Rolle zu. Der neue Regionalkommissar Jacques Barrot wird sich bei seinem Parteifreund Barnier sicher manchen Rat holen. Gespräche mit den Betroffenen vor Ort kann das nicht ersetzen.

Hinzu kommt, dass vom 1. Mai an dem Neuling Barrot ein erfahrener Lobbyist für die Interessen der neuen Mitgliedsländer zur Seite steht. Der bisherige ungarische EU-Botschafter Péter Balázs und neuer EU-Kommissar spricht fließend Englisch, Deutsch und Französisch und kennt das Brüsseler Geschäft und seine wichtigsten Akteure gut. Zwar ist unklar, welches Ressort Balázs in der neuen Kommission unter Romano Prodis Nachfolger ab 1. November übernehmen wird. Doch ihren Fürsprecher haben die neuen deutschen Länder unwiderruflich verloren.

Auch in der Verfassungsdiskussion wird Barniers Stimme fehlen. Immerhin bleibt sein Partner im Verfassungskonvent, der Portugiese Antonio Vitorino, der Kommission Prodi erhalten. Wenn nichts dazwischen kommt. Schließlich wäre der für Innen und Justiz zuständige Kommissar beinahe neuer Nato-Generalsekretär geworden.

Wenigstens die deutschen Konservativen im Europaparlament sind glücklich darüber, dass Michel Barnier nun am Quai d’Orsay residiert. In seiner ersten parlamentarischen Fragestunde im neuen Amt äußerte der neue französische Außenminister Zweifel, ob die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden sollte. Für CDU-Chefin Angela Merkel und ihre europäischen Parteifreunde gibt es also noch Hoffnung.

DANIELA WEINGÄRTNER