Stabwechsel in Brüssel

Die zehn Neuen aus dem Osten, aus Zypern und Malta werden jetzt als EU-Kommissare ausgebildet

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Als „Kommissar in Ausbildung“ wird der bisherige tschechische EU-Botschafter Pavel Telička bis Ende Oktober im Ressort von Verbraucherkommissar David Byrne mitarbeiten. Dem EU-Parlament präsentierte er sich in seiner mehr als eine Stunde dauernden Anhörung gestern wortreich, aber inhaltsarm als Anhänger der europäischen Idee und Verbraucheranwalt. Er sei mit seinen 38 Jahren „das Baby in der Kommission“, hoffe aber, dass er dort „wachsen und groß werden“ könne.

Die Vorsitzende des Verbraucherausschusses, die britische Konservative Caroline Jackson, fragte Telička zwar auch nach praktischen Dingen wie den Qualitätsstandards in tschechischen Schlachthäusern. Doch zunächst stellte sie natürlich die Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit der Parteipolitik? Er sei nur drei Jahre lang Mitglied der kommunistischen Partei gewesen, antwortete der Bewerber sittsam. „Seither habe ich mich einer Selbstprüfung unterzogen. Ich kann politisch denken und das beweisen, wenn ich konkrete Fragen beantworte. Ich bin liberal eingestellt, glaube aber auch daran, dass soziale Absicherung nötig ist.“

Im Februar hatten die europäischen Konservativen auf ihrem Kongress in der belgischen Hauptstadt eine Resolution verabschieden wollen, die Exkommunisten den Zugang zu politischen Ämtern in Brüssel verwehrt. Der Text war später dahingehend abgemildert worden, dass nur solche Politiker von EU-Jobs ausgeschlossen sein sollten, die „Teil der repressiven kommunistischen Exekutivorgane gewesen sind oder in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt waren“.

Vor dem Hintergrund dieser Diskussion, so zeitnah an den Europawahlen Mitte Juni, war die Anhörung von Telička und dem estnischen Kandidaten Siim Kallas mit besonderem Interesse erwartet worden. Dieser gehörte von 1972 bis 1990 der kommunistischen Partei an. Er soll für die kommenden Monate beim Währungskommissar in die Lehre gehen.

Der allerdings ist selbst ein Lehrling. Der erfahrene Finanzexperte Pedro Solbes, der auf der Homepage des Wirtschafts- und Währungsressorts noch immer lächelnd die Besucher begrüßt, hat sich zu Ostern als neuer Superminister nach Madrid verabschiedet. Sein Nachfolger wird der Ab-geordnete und frühere Generalsekretär der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), Joaquín Almunia. Als Europaexperte ist er bisher nicht hervorgetreten – und außerhalb von Spanien kennt ihn auch kaum jemand.

Auch Stavros Dimas ist bislang in Brüssel ein unbeschriebenes Blatt. Immerhin ist die Homepage des Ressorts für Gleichberechtigung und soziale Fragen schon auf den neuesten Stand gebracht und das Foto seiner Vorgängerin Anna Diamantopoulou, die im griechischen Parlament in Athen nun die Opposition anführt, durch sein Konterfei ersetzt worden. Ein „Kommissar in Ausbildung“ wird ihm nicht zur Seite gestellt. Das habe aber, so wird im Hause Dimas versichert, nichts damit zu tun, dass soziale Fragen in Brüssel als „weiche Themen“ gelten. Einen Tandem-Kommissar bekamen einfach diejenigen Ressorts zugeteilt, die über die meisten Büro-Quadratmeter verfügen.

Da sich Regionalkommissar Michel Barnier als Außenminister nach Paris verabschiedet hat und Industriekommissar Liikanen als finnischer Zentralbank-Chef im Gespräch ist, bleiben in der Kommission für die Übergangszeit bis zum 1. November nur wenige politische Schwergewichte übrig, darunter Agrarkommissar Franz Fischler, Wettbewerbskommissar Mario Monti und Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein.

Während also der Binnenmarkt gut geölt weiterläuft und die Agrar-Subventionsmaschine ohne Störung rollt, ist die Kommission in den meisten Fragen, die den Wahlkampf bestimmen werden, geschwächt. Die Zukunft des Stabilitätspaktes? Sein strengster Fürsprecher Pedro Solbes hat die Fronten gewechselt. Die überfällige Reform des Brüsseler Beamtenapparates? Der zuständige Kommissar Neil Kinnock träumt laut vom künftigen Rentnerleben. Irak und Naher Osten? Chris Patten sitzt im Geist schon auf seinem neuen Sessel als Rektor der Uni Oxford. Und der Chef, Romano Prodi, höchstselbst? Der will nach eigenem Bekunden Silvio Berlusconi in Italien als Regierungschef ablösen und muss deshalb bis zum Ende seiner Brüsseler Zeit jeden Schritt sorgfältig daraufhin prüfen, dass er nicht als vorweggenommene italienische Wahlkampfaktion interpretiert werden kann. Im Kreis dieser Kommission auf Abruf haben die zehn Lehrlinge freilich einen Vorteil. Sie werden auch der künftigen EU-Spitze angehören.