„Ich war der klassische Flaneur“

Dunkle Eckkneipen, Pferdewagen und Männer mit Hüten – der Fotograf Michael Fackelmann zeigt in seinem Bildband das Hamburg der 60er Jahre. Er sieht sich als Beobachter aus der Distanz

INTERVIEW UTA GENSICHEN

taz: Herr Fackelmann, waren Sie ein schüchterner Fotograf?

Michael Fackelmann: Ja, ich war eher introvertiert. Ich war auch nicht der Reporter-Typ, der sich da hemdsärmelig durchboxt, um sein Foto zu machen. Ich habe immer Distanz zu den Menschen bewahrt. Mir kam es ja darauf an, Menschen in ihrem Umfeld zu zeigen. Darum habe ich kaum Aufnahmen mit dem Teleobjektiv gemacht, wo man den Menschen scharf hat und der Hintergrund verschwimmt.

Das Cover-Bild Ihres Fotobandes ist dafür ein gutes Beispiel. Wissen Sie noch, wie es entstanden ist?

Ich glaube, das war im Sommer 1964, als auch der Kurzfilm „Sonntagmorgen in St. Pauli“ entstanden ist. So genau kann ich mich an diese Szene leider nicht mehr erinnern. Fotografieren war bei mir oft ein intuitiver und naiver Vorgang. Heute ist das anders. Seit drei oder vier Jahren mache ich wieder Fotos. Da plane ich viel mehr und habe ein Konzept, bevor ich beginne. Ich laufe jetzt nicht mehr einfach ziellos durch die Straßen.

Ihre Fotos sind früher demnach eher zufällig entstanden?

Ich war der klassische Flaneur, der einfach durch die Straßen gegangen ist, auf der Suche nach guten Motiven und interessanten Szenen. Das Cover-Bild hat für mich im nachhinein etwas von Caspar David Friedrich. Der hat ja auch oft Menschen mit dem Rücken abgebildet – wir schauen als Betrachter mit ihm sozusagen das ganze Geschehen an. Das habe ich damals natürlich völlig unbewusst gemacht.

Haben Sie nur ungestellte Bilder gemacht?

In der Regel schon. Es gibt in dem Band nur wenige Ausnahmen. Zum Beispiel diejenigen, auf denen Horst Janssen abgebildet ist. Die sind im eigentlichen Sinne ja gestellt. Der hatte übrigens auch die Idee, aufs Dach zu gehen, um dort zu fotografieren.

Wie haben Sie das Hamburg der 60er Jahre erlebt?

Es war eine unbeschwerte Zeit. Die letzten Ausläufer der autoritären Adenauer-Zeit waren noch da – Jugendrevolte und lange Haare gab es da noch nicht. Deshalb war auch alles noch zwanghafter. Zwar gab es das Wort Umweltzerstörung noch nicht, aber über unseren Köpfen hing die drohende Atombombe und der große Ost-West-Krieg.

Gelebt haben sie zu dieser Zeit aber bereits in München.

Seit 1961. Ich war aber oft beruflich und privat in Hamburg. Bei zwei Spielfilmen von Jürgen Roland hab ich Fotos gemacht. In München habe ich damals eigentlich gar nicht fotografiert, nur in Hamburg.

Ist Hamburg fotogener als München?

Das denke ich immer, wenn ich in Hamburg bin. Die Hamburger merken das gar nicht mehr, weil sie die Stadt ja jeden Tag sehen. Wenn ich durch das Schanzenviertel gehe oder durch St. Pauli, dann sehe ich: Das ist alles so lebendig. Das reizt mich auch heute noch zum fotografieren.

Wieso haben Sie dann München als Lebensmittelpunkt bevorzugt?

In den 60ern und 70ern war München eine sehr lebendige und exotische Stadt. In der Leopoldstraße gab es gleich zwei Cafés, wo man draußen sitzen konnte. In Hamburg gab es damals nicht einmal ausländische Lokale.

Wenn Sie heute durch Hamburg laufen, überkommt Sie da Wehmut?

Natürlich werd ich dann melancholisch, denn das war ja meine Jugend, die ich hier verbracht habe. Ich war in letzter Zeit ein paar Mal in St. Pauli und da gibt es tatsächlich noch Straßen, die sehen fast genauso aus wie auf den Fotos. Die Seilerstraße ist ein Beispiel dafür.

Was hat Ihre Fotografie beeinflusst?

Vor allem natürlich der Großmeister Bresson und diese ganze Art von Straßenfotografie. Die ist ja mittlerweile ausgestorben. Es gibt nur noch die konzeptionelle Fotografie. Neben Bresson hat mich auch die berühmte amerikanische „Family of man“-Ausstellung geprägt. Das waren Fotos mit „human touch“.

Ihre Bilder sind alle mit natürlichem Licht entstanden. War das ein Konzept?

Ich habe nie ausgeleuchtet und auch kein Blitzlicht benutzt. Sonst wäre ja die Atmosphäre der Bilder verschwunden. Mit meiner Kamera, einer Leica, und hochempfindlichen Filmen war das möglich.

Wie sieht Ihre Fotoausrüstung jetzt aus?

Ich habe immer noch meine Leica von damals. An der Kamera ist nichts kaputt. Im Gegenteil, ich habe meine Ausrüstung sogar noch vervollständigt. Ich fotografiere auch deshalb lieber analog, weil die Negative ja praktisch ewig haltbar sind.

Hauptsächlich arbeiten Sie fürs Fernsehen. Wie sind Sie zu den bewegten Bildern gekommen?

Ich bin über das Dokumentarische zum Film gekommen und habe schnell angefangen, Kurzfilme zu drehen. Ich fand es großartig, dass man da diese Freiheit hat, einfach eine Geschichte zu erzählen. Mein Hauptarbeit lag später bei Kinderprogrammen, also Sendungen wie der Rappelkiste.

Fotohinweis:Michael Fackelmann, 67, ist in Hamburg aufgewachsen. Er hat am Lerchenfeld und in München Fotografie studiert