Visuelles Archiv

Von hartnäckigen Mythen und interventionistischer Wissensproduktion: Das filmtheoretische Festival „Crossroadz“ im Echochamber

von ASTRID KUSSER

Ein Blick aus dem S-Bahnfenster konfrontiert jeden Tag mit ihr: „die eigene GESCHICHTE“, gelbe Schriftzeichen an grauen Betonfassaden. Doch die stummen Fingerzeige erzählen noch keine Geschichte: Die wird im Alltag praktiziert, in Geschichten, die erzählt werden. Ein hartnäckiger Mythos handelt von der kurzen, ereignislosen Kolonialgeschichte der Deutschen. Das Festival Crossroadz könnte diesem Mythos etwas entgegensetzen: Ab heute befassen sich im Echochamber drei Tage lang Filme, Vorträge und Bilder mit dem visuellen Archiv des deutschen Rassismus, mit seinen Brüchen und Kontinuitäten.

In Rendsburg wurde zum Beispiel in den 20er Jahren eine koloniale Frauenschule gegründet – als es offiziell schon gar keine Kolonien mehr gab. „Deutschtum“ war hier schon vor den Nazis eine Frage der „Rassenhygiene“. Die Frauen der Kolonialschule sollten dieses Wissen in den ehemaligen Kolonien aufrechterhalten und verhindern, dass deutsche Siedler afrikanische Frauen heiraten. Dorothea Siegles Vortrag zum Thema wird filmisch begleitet: Wir hatten eine Dora in Südwest, ein Dokumentarfilm der Hamburgerin Tink Diaz, rollt die Geschichte der Kolonialschülerinnen biografisch auf. Die Interviews sind aufschlussreich, weil sie auf eine sentimentale Kultur des Rassismus verweisen, die ganz unverblümt gepflegt wird.

Die Grabungen in der (Film-) Geschichte führen das Festival auch zum so genannten Gastarbeitersystem. Die wilden Streiks von MigrantInnen in den 70er Jahren zeigen, dass das Bild vom unterwürfig dankbaren Gastarbeiter von Anfang an Kratzer hatte. Serhat Karakayali ruft diese Geschichte in Erinnerung und zeigt zusammen mit dem Filmemacher Thomas Giefert Bilder der damaligen Kämpfe. Sie scheiterten an der Spaltung von deutschen und ausländischen ArbeiterInnen – einer Spaltung, der mit moralischen Appellen nicht beizukommen war.

Das Festival verbindet diverse Themen, die in der Stadt gerade relevant sind: Kolonialgeschichte, Migrationsregime, Antisemitismustheorien und Bambule. Es geht darum, die Verhältnisse in der Gegenwart beschreibbar zu machen und eine offensive SprecherInnenposition zu erfinden. Die Dimension des Visuellen ist hierfür vielversprechend: Die Effekte von Bildern sind an historisch-spezifische Rezeptionsbedingungen gekoppelt und veränderbar. Forschen und Filmemachen ergänzen sich hier, insofern sie brauchbares Wissen produzieren, das Intervention ermöglicht. Die Eingeladenen geben sich nicht damit zufrieden, Repräsentation nur zu problematisieren. Viele sind auf der Suche nach Strategien, die eigene Arbeit zu bebildern, ohne in die Fallstricke der affirmativen Wiederholung zu geraten. Auch das im Anti-Rassismus produzierte Material wird kritisch auf seine Effekte hin befragt: antirassistische Videos aus den 80er Jahren etwa, Clips von Brothers Keepers und Kanak Attak, schließlich ein Film von und über illegalisierte SexarbeiterInnen.

Auf dem „Afrika-Tag“, den diese Woche die Hamburger Politprominenz feierte, gab es eine Showeinlage vom König der Löwen. Der Bürgermeister lobte die „Afrikaner“ für ihre Fröhlichkeit, den Deutschen bescheinigte er Depression. Von der eigenen Kolonialgeschichte war nicht die Rede. Crossroadz wurde von den diversen Kulturförderungen der Stadt konsequent mit Absagen bedacht. Verhindern ließ sich das Festival dadurch nicht, Sonntag Nacht kann für die Unkosten getanzt werden.

heute ab 16, Sonnabend und Sonntag, jeweils ab 15 Uhr; Party (mit Kem Fuego, Reef Liquid und Frankie Nutz): Sonntag, 23 Uhr, alles Echochamber (Nobistor 24); www.crossroadz.net