berliner szenen Voll fett heiß

Der Sommer lärmt

Es ist ja so mit dem Sommer in Berlin: Ein paar Tage ist es warm, man liest Proust am offenen Fenster im sanften Wind, der durch die Wohnung geht, und freut sich darüber, dass aus dem Pflanzengrün bunte Blüten rauskommen. Man gleitet mit dem Fahrrad durch die Pollen, die in der Sonne zwischen den Bäumen auf der Straße tanzen. Alles scheint perfekt zu sein für ein paar Momente.

Darauf hat man sieben, wenn nicht acht Monate hingearbeitet, den Winter nur in Gedanken an den Sommer überstanden, und nach ein paar Tagen, kaum hat sich der Körper so ein wenig an den Sommer angepasst, verliert sich die Leichtigkeit wieder. Haus und Straßen haben die Hitze in sich aufgenommen; fett steht die Hitze in der Wohnung und geht nicht mehr am Abend. Man raucht Ketten, besprüht sich dauernd mit Wasser und beschimpft den Computer, weil er warm ist, anstatt kalt zu sein.

Die schöne Nacht kann man nicht so richtig genießen, weil man früh ins Bett geht, um früh aufzustehen, weil die Sonne den ganzen Nachmittag ins Zimmer knallt und so die Bedingung der Möglichkeit allen Denkens eindampft. In der Nacht kann man nicht schlafen, weil die Stimmen von unten durch die enge Kopfsteinstraße verstärkt in die Ohren reinpoltern und im Gehirngehäuse dann mit Kunstkopfstereo weiterlärmen. Morgens werden sie durch die Müllabfuhr abgelöst. Die lärmende Unhöflichkeit arbeitender Menschen ist unglaublich. Komisch, dass der Lärm nur morgens und abends so sehr lärmt, während die Hitze am Nachmittag sich wie feuchte Watte um die Dinge legt, und die Geräusche bleiben irgendwie weiter hinten. Komisch und irgendwie schade auch, dass übermorgen schon wieder Winter ist.

DETLEF KUHLBRODT