Hoher Einsatz trotz Behinderung

In Mettmann findet momentan die WM im Stehvolleyball statt. Das deutsche Team hat noch alle Chancen auf den Titel. Der Wuppertaler Timo Hager gehört zu den Leistungsträgern

VON THOMAS BESCHE

Irgendwann hatte Timo Hager keine Lust mehr zu kämpfen. Jeden Tag Schmerzmittel, das Laufen an Krücken, die nicht mehr verheilenden Narben – irgendwann war ihm sein rechtes Bein nur noch eine Last. „Andere sind in die Disco gegangen und ich stand blöd rum. Hauptsache weg damit.“

Mit 19 Jahren entschloss sich der Wuppertaler Student zur Radikallösung. In Münster entfernten ihm Spezialisten den von einem Knochentumor gezeichneten Oberschenkel. Da hatte er eine fast dreijährige Leidenszeit mit Chemothearpie und etlichen Eingriffen hinter sich. Zu Spitzenzeiten wog der Tumor zwei Kilogramm und erstreckte sich auf eine Länge von 30 Zentimetern. „Wie eine langgezogene Zwiebel sah das aus“, erinnert sich Hager.

Erster Gedanke nach der Operation war: „Scheiße, die haben dich gar nicht operiert.“ Hatten sie doch. Der Oberschenkel war weg, Wade und Fuß aber noch da. Nur an anderer Stelle. Die Wade hat jetzt die Rolle des Oberschenkels, verbunden mit dem Fuß auf Höhe des Kniegelenks. Das Fußempfinden war aber noch das gleiche. Mit so einer Behinderung Sport zu treiben, schien unmöglich. Doch der heute 27-jährige Student der Wirtschaftswissenschaften hatte den Ehrgeiz, sich bewegen zu wollen. „Ich wollte mal wieder schwitzen.“

Dass er einmal den Adler tragen würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Timo Hager ist Mitglied der deutschen Stehvolleyball-Nationalmannschaft, die noch bis zum Samstag in Mettmann an der Weltmeisterschaft teilnimmt. An Leistungssport habe er nie gedacht, als er zum ersten Mal beim Volleyballkurs des Uni-Sports auftauchte und einziger Behinderter war. „Da konnte ich gar nichts“, sagte er. Jetzt ist er allen überlegen, wie eine Freundin bestätigt. Eine Fußfeder-Prothese machts möglich. Die leidet unter Hagers kompromisslosem Einsatz. Den Belastungen hält sie nicht immer stand. 3.000 Euro sind jedes Mal bei einem Bruch fällig. Kosten, die die Krankenkasse erst nach einem langen Rechtsstreit bereit war zu übernehmen.

Zur Nationalmannschaft kam Hager 1998 durch Freunde, die ihn bei einem Turnier auf behinderte Volleyballer aufmerksam machten. Schnell nahm er Kontakt mit Bundestrainer Athanasius Papageorgiou auf, dem gleich Hagers Talent auffiel. Vorläufiger Höhepunkt in seiner Nationalmannschaftskarriere: die Goldemedaille bei den Paralympics 2000 in Sydney. „Auch wenn ich meist nur siebter Mann war – da ist für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen.“

Bei der WM in Mettmann ging die deutsche Nationalmannschaft nicht als Favorit an den Start, obwohl sie nach vier hintereinander gewonnenen Paralympics nach wie vor Respekt in der Welt genießt. Topanwärter auf Gold sind die Kanadier, die, anders als die Deutschen, besser finanziell unterstützt werden. „Wir sind ein heterogener Haufen, sehen uns höchstens fünf Mal im Jahr und leben davon, dass wir selbstverantwortlich im Verein trainieren. Bei uns herrscht kein Konkurrenzkampf wie im Profisport. Es geht familiärer zu, denn jeder muss mit den Stärken und Schwächen des einzelnen umgehen“, weiß Hager. Trotzdem konnten die ersten Spiele gewonnen werden. Nach Siegen über Polen, die USA und Ruanda winkt der Finaleinzug.

Hager selbst spielt außerhalb der Nationalmannschaft nur mit Nichtbehinderten, unter anderem in der Landesliga-Mannschaft des SV Bayer Wuppertal. Nebenbei trainiert er die C- und B-Jugend. Im Volleyball würde Hager auch gerne beruflich Fuß fassen. Genaue Zukunftspläne hat er noch nicht. Aus ihm sprudelt die Dankbarkeit, es soweit in seinem Sport geschafft zu haben. „Ich bin zu 80 Prozent schwerbehindert. Trotzdem ist das Leben für mich geil. Über den Sport habe ich mir viel Selbstvertrauen geholt. Beim Wakeboard oder Skifahren gebe ich Vollgas. Ein tolles Gefühl, die anderen alt aussehen zu lassen.“