K.O. nach Punkten

Auftakt der Reihe „Limited Edition“: Corinna Sommerhäuser, Regieassistentin am Thalia, inszeniert „Gefährliche Liebschaften“ als eiskalten Wettkampf der Geschlechter

Liebesbriefe der Opfer als gierig gehortete Triümphe im abgekarteten SpielMarquise und Vicomte als Repräsentanten einer aussterbenden Überflussgesellschaft

Am Anfang steht es noch 0:0. Doch die Marquise liegt schon bald in Führung. Sie, die Meisterin der Intrige, hat schon wieder einen ahnungslosen Mann ins Verderben gerissen. 1:0 also – der Vicomte ist im Zugzwang. Schnell verführt er ein junges Mädchen: Gleichstand.

Die Gefährlichen Liebschaften haben bei Corinna Sommerhäuser nicht mehr viel mit Gefühlen zu tun – die Regieassistentin am Thalia-Theater inszeniert den berühmten Briefroman von Choderlos de Laclos aus dem 17. Jahrhundert als zeitlos eisigen Geschlechterkampf. Sie beschränkt die Geschichte dabei auf die beiden interessantesten Charaktere: Die Intrigenspinner Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont – großartig besetzt mit Marina Wandruszka und Helmut Mooshammer. Die beiden umkreisen sich mit so viel unterdrückter Gier, dass ihnen jeden Moment die gestärkten Mieder von der Brust zu springen drohen. Die zwei Verbündeten im Bösen haben es sich zum Sport gemacht, andere mit ihrer Verführungskunst zu verderben. Dabei begehren sie einander am meisten – doch weil sie die Boshaftigkeit des anderen nur zu gut kennen, wagt keiner, den Panzer abzulegen.

Es ist ein kurzweiliges, amüsantes Duell, das Sommerhäuser in nur einer Stunde auf den tragischen Höhepunkt zulaufen lässt. Der Text ist auf wenige, starke Passagen reduziert und geschickt mit der Alltagssprache des modernen Geschlechterkampfs gemischt. Wie Waffen präsentieren die beiden Intriganten einander die Liebesbriefe ihrer jüngsten Opfer. Ein gebrochenes Herz ist für sie nichts als ein weiterer persönlicher Triumph im abgekarteten Spiel. Alle haben sie bisher besiegt mit ihrer Niedertracht, doch nun sind sie bei ihrem härtesten Match angekommen: Sie spielen gegen sich selbst.

Marquise und Vicomte sind in dieser Inszenierung die alt gewordenen Kinder einer aussterbenden Überflussgesellschaft und wirken dadurch aktueller denn je. „Ich kann wohl sagen, dass ich mein eigenes Werk bin“, resümiert die Marquise selbstzufrieden. Image ist alles, auch wenn der Geschmack längst schal geworden ist. Ein ums andere Mal erneuern sie ihren Punktestand, bis beiden am Ende klar wird, dass diesmal keiner von ihnen als Sieger triumphieren wird.

Mit Sommerhäusers Inszenierung hat das Thalia seine neue Reihe „limited editions“ eingeleitet, in der die Regieassistent-Innen des Hauses ihre eigenen Arbeiten vorstellen. Ein gelungener Auftakt, der neugierig macht auf mehr. Carolin Ströbele