berliner szenen Wahrhaft nahrhaft

Der „Bild“-Boykott

Manchmal geht es ganz schnell. Am Dienstag zeigte die Bild auf Seite 1 ein Foto von der verstümmelten Leiche eines im Irak getöteten GSG 9-Beamten. Am Mittwoch folgte die Strafe auf den Fuß: Das Café „wahrhaft nahrhaft“ in der Boxhagener Straße in Friedrichshain, in dem ich ein gut Teil meines Gehaltes lasse, begann einen Bild-Boykott. Bislang lag das Blatt neben taz, Berliner Zeitung, Zitty und Hochglanzmodemagazinen aus.

Auf Zetteln an der Tür und im Fenster werden die Gäste informiert. Ein roter Bild-Schriftzug ist mit einem schwarzen „Nein danke“ durchgestrichen. Darunter schreiben Isa und Tobi, die leckere Bagels, Toasts, Obstsalate und -säfte und Kaffee verkaufen: „Die pietätlose Berichterstattung der Bildzeitung geht unserer Meinung nach eindeutig zu weit. Daher werden wir die Bildzeitung bis auf weiteres uns und unseren Kunden in unserem Laden nicht mehr zumuten.“

Ich habe morgens zum Kaffee immer gern Bild gelesen. Um zu wissen, was Chefredakteur Diekmann mehr als drei Millionen Deutschen serviert – und das Kreuzworträtsel zu lösen, bei dem es 5.000 Euro zu gewinnen gibt. Doch Isa und Tobi können auf meine finanzielle Situation keine Rücksicht mehr nehmen. „Es wird immer alltäglicher, Leichen zu sehen“, sagt Isa. „Das führt doch zu mehr Gewalt.“ Das Foto des GSG-9-Beamten sei „das I-Tüpfelchen“ gewesen. Isa spinnt den Faden weiter. „Auch Sex und Freizügigkeit werden immer mehr gezeigt. Da nimmt doch die Lust ab.“

Nein, in einer Welt mit immer mehr Gewalt und immer wenig Sex will ich auch nicht leben. Deshalb verzichte ich gern auf die Lektüre der Bild im „wahrhaft nahrhaft“ – und lese sie jetzt in der Redaktion.

BARBARA BOLLWAHN