Spaß muss sein

Bis vor kurzem war Martin Verkerk ein eher unbekannter Tennisspieler. Heute kann er als erster Niederländer ins Finale der French Open einziehen

aus Paris DORIS HENKEL

Geht die Post bei Martin Verkerk so richtig ab, sehnt sich der Ball nach einem ruhigen Plätzchen. Weit reißt der lange Kerl Mund und Augen auf, ballt die Hand zur Faust und hält seine Gefühle nicht hinterm Berg. Er weiß, dass er dabei, um es vorsichtig zu beschreiben, nicht besonders vorteilhaft aussieht, aber er sagt, er brauche das, um sich so richtig reinzusteigern in das Spiel. Später, wenn er geduscht hat und seine Gesichtszüge sich entspannt haben, ist er ein netter, witziger Typ. Und der sagt: „Ich bin nicht hier, um schön zu sein – ich bin hier, um zu gewinnen.“

Er ist nicht nur der große Unbekannte im Kreise der Halbfinalisten der French Open 2003, dieser Martin Verkerk, 24, aus Alphen am Rhein, sondern ist auch in Temperament und Spielweise so ganz anders als die anderen drei. Costa und Ferrero geben sich spanisch reserviert, der kleine Coria wirkt wie ein Ministrant. Verkerk aber zeigt, wie viel Leben in ihm steckt.

Das hat er schon immer gern getan, vor allem abseits des Platzes. Wenn einer wie er mit 24 quasi aus dem Nichts erscheint und Furore macht, dann drängt sich die Frage auf, wo dieser Typ vorher gesteckt hat. Nun, nicht schwer zu erklären, sagt der. Eine Zeit lang habe er gedacht, okay, mit Spaß und ein bisschen Training schaffst du es vielleicht unter die besten hundert. Was nicht funktioniert hat, weil heutzutage keiner mit ein bisschen Training unter die besten hundert kommt. Er hat das erkannt, hat sich vor zwei Jahren einen Tritt gegeben, und spätestens jetzt weiß er, dass sich die Mühe gelohnt hat. Aber er ist auch überzeugt, dass der Umweg über die leichte Seite des Lebens einen Sinn gehabt hat. „Ich hab mich prächtig amüsiert zwischen 18 und 21.“

2002 war er vor allem bei Challengerturnieren erfolgreich zwischen Dallas, Eisenach und Hawaii; Ende des Jahres gehörte er tatsächlich zu den Top 100. Bei den Australian Open zu Beginn dieses Jahres verlor er noch in der ersten Runde gegen Mark Philippoussis, aber in der Woche danach gewann er beim Hallenturnier in Mailand seinen ersten ATP-Titel im Finale gegen Jewgeni Kafelnikow, und das, sagt Verkerk, sei der Knackpunkt gewesen. „Ich habe begriffen, dass ich solche Spieler schlagen kann.“

Er kam nach Paris, gewann in Runde eins zum ersten Mal ein Spiel bei einem Grand-Slam-Turnier, wehrte in Runde zwei gegen den Peruaner Luis Horna drei Matchbälle ab, besiegte furchtlos drei gesetzte Konkurrenten – Vince Spadea (29), Rainer Schüttler (11) und Carlos Moya (4) –, und spätestens jetzt ist klar, dass auch die Besten vor ihm nicht mehr sicher sind.

Eine kleine Hilfe beim Versuch, die Gegner zu erschrecken, sind nicht nur seine feurigen Gesten und Grimassen, sondern vor allem jene Aufschläge, die selbst in kritischen Situationen regelmäßig mit mehr als 200 Sachen übers Netz rauschen. Aber nur mit starken Aufschlägen gewinnt man kein Spiel; Verkerks Volleys sind gut, er rutscht geschickt, trotz seiner Größe von 1,98, und sein Spiel von der Grundlinie ist druckvoll und konsequent.

Guillermo Coria (1,75) weiß, was ihn erwartet heute im Halbfinale auf dem Court Central. „Na ja, er ist viermal größer als ich“, sagt er, „aber ich werde mich nicht beeindrucken lassen von seiner Größe, seiner Stärke oder seinem Aufschlag – ich werde wie eine Wand sein.“

Egal. Martin Verkerk ist bereit. Zehn Jahre nach dem späteren Wimbledonsieger Richard Krajicek, der damals im Halbfinale gegen Jim Courier verlor, hat er es in der Hand, als Erster aus den Niederlanden ins Endspiel des berühmtesten Sandplatzturniers der Welt einzuziehen. Zu Hause ist er jetzt schon der Hit. Beim Sieg gegen Moya waren 1,6 Millionen Landsleute am Fernseher dabei – mithin jeder Zehnte –, und seinetwegen fing die Nachrichtensendung ausnahmsweise mit Verspätung an. Nicht schlecht für einen, der vor nicht allzu langer Zeit weiter nichts wollte als ein bisschen Spaß.