Neue wollen lieber keine Reformen

Großer Zwergenaufstand im EU-Konvent: 16 widerspenstige Regierungen, vor allem aus den Kandidatenländern, wollen eher den Status quo erhalten. Sie wehren sich gegen die ausgrenzende Leitung durch Konventspräsident Valérie Giscard D’Estaing

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Der Putsch der Zwerge in dem Konvent, der die Europäische Union reformieren soll, weitet sich zum Massenaufstand aus. Sechzehn Regierungsvertreter gingen Dienstagabend mit dem Kampfschrei an die Öffentlichkeit: Gebt Nizza eine Chance! Die Kompromisse beim EU-Gipfel im Dezember 2000 in Nizza seien sehr hart erkämpft worden, erinnerte der slowenische Regierungsvertreter Dimitri Rupel. „Jetzt sprechen wir über radikale Reformen. Wir Neulinge neigen dazu, hier ein kleines bisschen konservativ zu sein.“

Sein estnischer Kollege Henrik Hololei ergänzte: „Der Konvent hat nichts deutlich Besseres als Nizza erbracht. Wenn wir mehr Zeit hätten, wäre das vielleicht anders. Da wir aber nur noch eine Woche haben, sollten wir nicht die Büchse der Pandora öffnen, sondern besser alles lassen, wie es ist.“

Den überwältigenden Anteil der „Nizza-Gang“, wie sie von der linken Europaabgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann genannt wird, bilden Regierungsvertreter aus kleinen Kandidatenländern. Doch auch Österreich, Finnland, Schweden, Dänemark, Portugal und Irland sind mit von der Partie. Wie sehr sich die Kleinen durch den selbstherrlichen Leitungsstil von Konventspräsident Valérie Giscard d’Estaing überfahren fühlen, war den Worten des österreichischen Regierungsvertreters Hannes Farnleitner deutlich anzumerken. Der Konventspräsident habe nur eine kleine Gruppe von ihnen empfangen wollen. Doch sie hätten auf einem offenen Gespräch bestanden mit drei Minuten Redezeit für jeden.

„Giscard hat mich daran erinnert, dass ich als Konventsmitglied nicht die offizielle Position meiner Regierung vertreten soll. Ich habe ihm geantwortet, dass mir Wolfgang Schüssel völlig freie Hand lässt. Wir sind nur zufällig ganz und gar derselben Meinung.“ Giscard d’Estaing gibt sich gelassen. Er versucht den Eindruck zu erwecken, diesen Verlauf vorhergesehen und mit seiner Sitzungsregie optimal gelenkt zu haben. Da dem Konvent nur noch neun Tage bleiben, müssten die Widerspenstigen einlenken, wenn sie nicht als Blockierer dastehen wollten.

Am Dienstagabend allerdings schien sich die Nizza-Gang weder um ihren Ruf zu sorgen noch Klassenkeile zu befürchten. Was ihre Vertreter da zum Ausdruck brachten, hieß mit anderen Worten: In der erweiterten Union sollen 25 Regierungen den Vorsitz wie bisher alle sechs Monate rotieren lassen. Gesetze werden weiter hinter verschlossenen Türen ausgedealt. Jedes Land schickt einen Kommissar nach Brüssel – egal was er dort macht. Und das Europäische Parlament bleibt eine Quasselbude ohne Mitsprache bei den Finanzen.

Auch über die qualifizierte Mehrheit sind sich nicht alle einig. Eine überwältigende Mehrheit der 105 Konventsmitglieder will sie auf die Steuer- und Außenpolitik anwenden. Großbritannien ist dagegen und will davon nicht abrücken. Der Nizza-Gang gehören die Briten dennoch nicht an: Deren Reformvorschläge gehen ihnen immer noch viel zu weit.