Peter Ahrens über den Tod Ronald Schills

Der Skipper ist von Bord

Das letzte Mal habe ich ihn in einer Bar im vietnamesischen Saigon getroffen. Es muss drei, vier Jahre her sein. Er saß in einer dunklen Ecke, hatte seine Kapitänsmütze ins Gesicht gezogen und ein paar europäische Bewunderer um sich geschart.

Solche Momente waren zuletzt allerdings selten, es war einsam geworden um Ronald Barnabas Schill, seit vor Jahren sein Versuch, in Uruguay eine merkwürdige deutsche Enklave zu etablieren, gescheitert war und er daraufhin das südamerikanische Land verlassen musste.

Seitdem hörte man nicht mehr viel von dem früheren Richter Gnadenlos, der der Politik nach seinem gescheiterten Engagement in Uruguay endgültig den Rücken gekehrt hatte und stattdessen als Skipper auf seiner Jacht um die Welt segelte.

Halbseidene Jet-Set-Partys

Ab und zu tauchte er bei seinen raren Deutschlandbesuchen noch auf halbseidenen Jet-Set-Partys auf, und wer ihn dort zwischen dem Politpartygirl Charlotte Mirow und der ewigen Schnulze Max Mutzke am Buffet stehen sah, der mochte kaum glauben, dass derselbe Ronald Schill noch ein paar Jahre zuvor Anlass zu internationalen diplomatischen Verwicklungen gegeben und kurzfristig gar im Scheinwerferlicht der Weltpolitik gestanden hatte.

„Politik ist ein schmutziges Geschäft“, hat Schill stets betont, und trotzdem konnte er die Finger niemals davon lassen. Weder vor 30 Jahren, als er als Hamburger Innensenator ein schmähliches Intermezzo in der Landespolitik gegeben hatte, noch später in Lateinamerika, als er unzufriedene deutsche Exilanten um sich sammelte, um im Gefolge des Martinez-Putsches die unruhige Lage im Land auszunutzen. Die Freie und Hanserepublik Uruguay hatte aber nur ein kurzes Leben von viereinhalb Wochen. Dann musste Schill auf Druck der Militärs in Montevideo aufgeben.

Schills Comeback 2019 auf dem lateinamerikanischen Parkett war wohl vorbereitet. Die Freie und Hanserepublik Uruguay hatte dennoch nur ein kurzes Leben

Die europäische Außenpolitik hatte anschließend in Lateinamerika peinliche Canossagänge anzutreten und diplomatische Irritationen aus der Welt zu schaffen.

Das vielleicht skurrilste Kapitel eines skurrilen Politikers: Schill war zeitlebens eine Provokation für den etablierten Politbetrieb; das war in Deutschland nicht anders gewesen als selbst in Lateinamerika, das als Bühne schon so manchen exaltierten Selbstdarsteller und Operettenregenten gekannt und überstanden hat.

Als Schill im Jahr 2004 nach einem seiner Wahldesaster in Hamburg seinen Abschied aus Deutschland angekündigt und sich daraufhin nach Uruguay begeben hatte, schien seine Rolle in der Politik an sich ausgespielt. Ein durchgeknallter Law-and-Order-Fetischist, nicht mehr als eine Fußnote der Landespolitik. Doch damit hatte man Schill unterschätzt.

Comeback in Uruguay

Sein politisches Comeback, gut fünfzehn Jahre später, auf lateinamerikanischem Parkett, war wohl vorbereitet. Bereits Jahre zuvor hatte er mehrere Abgeordnete der konservativen Partei, die mit dem Kurs der regierenden Partei Die Sozialisten nicht mehr einverstanden waren, nach Uruguay gelockt und mit ihnen seine größenwahnsinnigen Pläne entworfen: Ein Territorium, auf dem eine autoritäre Regierung das Zusammenleben einer betuchten deutschen Kolonie organisiert. Bewacht von privaten Sicherheitsdiensten, natürlich in blauen Uniformen, seit je das Steckenpferd Schills. Eine Macke muss jeder haben, Schill hatte gleich mehrere im Angebot.

Mit seinem Stil, Recht und Ordnung zu verkünden und gleichzeitig eine Lebensstil zu praktizieren, der Genuss und Spaß in den Vordergrund stellt, hat Schill zudem fast als Prototyp fungiert: Eine ganze Reihe sozialistischer und konservativer Politiker, von Kahrs bis Mißfelder, hat in den vergangenen Jahren nach einem ähnlichen Konzept Politik gemacht und dabei reüssiert. Etwas weniger populistisch, ein bisschen domestizierter als der politische Outcast, doch im Kern haben sie seine Konzepte übernommen. Heute sind sie politischer Mainstream.

Sein Ende war der Art, wie sie zu seinem Leben passt. Einer wie Schill geht über Bord. Das ist auch passiert. Gestern ist Ronald Schill, der Polit-Abenteurer, im Alter von 70 Jahren gestorben.