Catharus-Drossel mit geeichtem Magnet-Kompass

Der dänische Biologe Dr. Henrik Mouritsen (Universität Oldenburg) im taz-Interview über das Orientierungsverhalten von Tieren

taz: Der Monarch-Falter hat nur 0,02 Gramm Gehirn und findet über Tausende von Kilometern sein Winterquartier – wie?

Henrik Mouritsen: Im September fliegen sie in Kanada los bis nach Mexiko, 3.500 Kilometer weit. Dort sitzen sie drei Monate lang in Bäumen und machen nichts, und dann fliegen sie zurück, aber nur bis Texas, den halben Weg. Dort brüten sie, die Nachkommen fliegen weiter und erreichen Kanada. Dort gibt es zwei Generationswechsel, erst die vierte Generation fliegt ein Jahr später zu demselben Bergrücken nach Mexiko zurück.

Gibt es das sonst irgendwo im Tierreich, dass sich die Orientierung so deutlich vererbt?

Das ist ein Extremfall.

Und Sie wissen, wie der Schmetterling das macht?

Teilweise. Wir wissen, dass er für die große Strecke einen Sonnenkompass benutzt. Die wissen, dass die Sonne sich um 15 Grad pro Stunde bewegt und orientieren sich daran.

Dass bedeutet, sie müssen eine Digital-Uhr in sich haben.

Zumindest eine Tagesuhr.

Wenn man mit einem Rotlicht die Schmetterlinge anleuchten würde, dann könnten sie die Orientierung verlieren?

Das wissen wir nicht. Wir haben bisher nur analysiert, ob es die Sonne selbst ist oder das polarisierte Lichtmuster, dass die Sonnenstrahlen ausmacht, und es sieht so aus, als ob die Tiere sich an der Sonne selbst orientieren. In Mexiko helfen dann die Landmassen den Schmetterlingen, das ist wie ein natürlicher Trichter: Die Monarch-Falter überfliegen nicht gern Berge wie die Rocky Mountains im Westen und auch nicht Ozeane wie den Atlantik im Osten. Die erste querstehende Barriere in diesem Trichter ist der Bergrücken, auf dem man den Monarch-Falter dann in Massen findet.

Berühmt werden Sie als Wissenschafter in diesen Tagen durch ihren Aufsatz in Science über die Catharus-Drosseln. Fliegen die genauso weit?

Die fliegen weiter, vom mittleren Kanada bis Südamerika.

Warum haben Sie diese Vögel auserwählt für Ihre Forschung?

Es ist ein größerer Vogel, der nachts zieht. Man kann leicht einen Radio-Sender an die Rückenfedern ankleben.

Die Vögel orientieren sich am Erdmagnetfeld, haben wir früher gelernt. Stimmt das?

Seit 30 Jahren macht man Experimente in Orientierungstrichtern. Vögel haben einen starken Drang zu ziehen, und versuchen das auch in einem kleinen Käfig. Bei Experimenten im Labor zeigt sich, dass Vögel das Magnetfeld zur Orientierung benutzen, aber auch Sterne oder die Sonnenuntergangs-Richtung. Es gab widersprüchliche Beobachtungen darüber, welche Orientierung für die Vögel am wichtigsten ist. Und es gab bisher keine Untersuchung an frei fliegenden Vögeln. Die Informationen, die Vögel im freien Flug bekommen, sind natürlich nicht die gleichen wie die, die man in einem Käfig simulieren kann.

Und was haben Sie herausgefunden?

Wenn man die Vögel während des Sonnenunterganges einige Stunden einem Magnetfeld ausgesetzt hat, das 80 Grad nach Osten gedreht war, flogen die Vögel danach westachsig 80 Grad verkehrt. Aber in der zweiten Nacht fliegen sie wieder nach Norden.

Das bedeutet, die Tiere bekommen eine falsche magnetische Orientierung?

Für eine Nacht. Dann finden sie wieder die richtige Orientierung.

Wie erklären Sie sich das?

Die Vögel nutzen einen Magnetkompass für ihren Flug, der im Sonnenuntergang kalibriert, also geeicht wird. Das kann ein Vorteil sein: Der geographische Nordpol und der magnetische Nordpol sind nicht identisch. Man würde bei der Orientierung Fehler machen, wenn der Kompass nicht geeicht würde.

Wie setzt sich diese Eichung durch Sonnenuntergangslicht im Gehirn der Catharus-Drossel fest?

Das ist die Frage. Wir haben eine Idee. Wenn Sie mit mir in einigen Monaten noch mal sprechen, kann ich mehr dazu sagen.

Interview: klaus wolschner