Wenn Infos zu Fäusten werden

Hamburgs führende Fußballvereine sehen sich neuen und harscheren Formen des Fanprotests ausgesetzt. Ein Zustand, der nicht zuletzt der Sportberichterstattung angelastet wird. Im taz-Interview: Corny Littmann, Präsident des FC St. Pauli

von OKE GÖTTLICH

Als HSV-Kapitän Nico Hoogma am vorigen Sonnabend nach der Niederlage gegen Borussia Dortmund die Hamburger AOL-Arena verlassen wollte, kam es zu einer Situation, die der Niederländer in seiner Karriere bisher noch nicht erlebt hat. Rund 50 aufgebrachte Anhänger schubsten, schoben und schimpften bedrohlich auf Hoogma ein. Als Ursache dieser Reaktion machte selbst die Süddeutsche Zeitung nicht allein die sportlich missliche Situation aus, sondern sieht diese „explosive Stimmung vor allem von Bild geschürt“.

Vor der Partie hatte das von HSV-Trainer Klaus Toppmöller geschnittene Blatt eine ganze Seite über den „Sauhaufen HSV“ veröffentlicht und dem Trainer diese chaotischen Zustände zugeschrieben. Überraschend regulierend wirkt da die Erkenntnis des Hamburger Abendblattes, die Fans seien auch „durch Zeitungsberichte aufgewiegelt worden“.

Das unterstreicht auch HSV-Vorstandsmitglied Christian Reichert: „Einige von unseren Fans haben ihr Verhalten der Berichterstattung in den Medien angepasst.“ Das Verhalten der Fans sei respektloser geworden, „aber nicht so stark, wie es die Medien gegenüber den Spielern geworden sind“.

Während beim HSV Spieler attackiert werden, vermisst der FC St. Pauli seit Jahren konstruktive Diskussionsbereitschaft seitens der Kritiker. Zeitweise wurden Anfeindungen über die Medien und Fans derart persönlich, dass Vorstandsmitglieder ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten einstellten und selbst Hintergrundgespräche mit allen Print-Medien keine Verbesserung brachten.

Im taz-Interview analysiert St. Paulis Präsident Corny Littmann seine Erfahrung im Umgang mit der Öffentlichkeit und den Fans seit seinem Amtsantritt.

taz: Seit Monaten stehen Sie als Präsident des FC St. Pauli in ständiger Kritik von Medien und Teilen der Fans. Wie gehen Sie mit diesen Spannungen um?

Corny Littmann: Es ist durchaus berechtigt und beim FC St. Pauli erwünscht, Kritik zu äußern. Wer Entscheidungen trifft, muss auch Kritik vertragen können. Allerdings muss man sich an das merkwürdige Phänomen im deutschen Fußball gewöhnen, welches man nicht nur beim FC St. Pauli, sondern auch beim HSV antrifft, dass Konflikte, welche die Medien befördern, nicht mehr ausgetragen, sondern emotional aufgeheizt werden.

Gerade die Themen Finanzen und Trainer-Entlassung sowie Stadionverbote führten jüngst zu aufbrausenden Reaktionen und Protesten vor allem gegen Sie persönlich.

Die verschiedenen aber emotionsgeladenen Themen führen zu unterschiedlichen Reaktionen. Beim Thema Trainer-Entlassung gab es nie Kritik an der Tatsachenentscheidung. Stattdessen ging es der Öffentlichkeit darum, wann der neue Trainer von seiner Einstellung erfahren hat und ob bereits vorher jemand anders gefragt worden ist. Es wurden blindlings Vermutungen angestellt, dass monatelang versucht worden sei, gegen Franz Gerber zu arbeiten. Dass es allein an der sportlichen Situation lag, war den Medien wohl zu langweilig.

Wenn man nun Klaus Toppmöller sieht, der nicht in dem Maße mit der Bild kooperiert, wie sie es gewohnt ist, ahnt man ja etwas davon, was Medien in Hamburg für Fußballvereine bedeuten können.

Berechtigte Kritik an ihrer Person gab es auch im Fall der ausgesprochenen Stadionverbote.

Es wird immer wieder mal Entscheidungen geben, die auf berechtigte Kritik stoßen. Ich vermisse im Umfeld nur eine Streitkultur, an deren Ende sich Einsicht zeigt. Was mich betrifft, habe ich nicht nur Einsicht gezeigt, dass es ein Fehler war vorschnell Stadionverbote auszusprechen, sondern ebenfalls Selbstkritik geübt. Auf Seiten der Fans ist das nur zum Teil geschehen.

Stattdessen gibt es „Littman raus“-Shirts und 20-seitige Features über Ihre Verfehlungen in Fan-Magazinen. Wie reagieren Sie als angetretener „Fan-Präsident“ auf diese Protestformen?

Es gibt schon Sorgen, dass durch einseitige Darstellungen in Printmedien, Fanforen oder Fanmagazinen ein Kesseltreiben stattfindet, dass zu der Gefährdung einer Person führen kann, wie wir es beim HSV erlebt haben. Was die Vorwürfe im Fan-Magazin Übersteiger angeht, stört es mich, dass diese Leute bewusst die Medienberichterstattung in Hamburg kritisieren, aber ihrerseits nur daraus zitieren. Ganz abgesehen davon, dass ich nicht ein einziges Mal zu den Vorwürfen befragt worden bin. Besonders erschüttert bin ich darüber, dass ich mich der Diskussion im Fan-Chat stellen wollte, aber es mir nicht gestattet wurde.

Das heißt, die Fans fordern einen Anhörungsprozess in Sachen Stadionverboten seitens des Vereins, das Präsidium bekommt aber selbige Möglichkeiten nicht geboten?

Richtig. Und insofern spreche ich auch nicht von stattfindenden Diskussionen, sondern von einseitigen Anschuldigungen. Ich vermisse die konstruktive Auseinandersetzung mit den Problemen des Vereins und den diesbezüglichen Entscheidungen, die sicherlich nicht alle leicht fallen.

Fällt es Ihnen als ehrenamtlich tätiger Präsident angesichts der Lage nicht leicht, einfach zurückzutreten?

Wenn wir sportlich erfolgreich sind, wird es viele Schuldzuweisungen nicht mehr geben. Aber wir befinden uns eben in der Sanierungsphase, die eine wesentliche Voraussetzung für den sportlichen Erfolg ist. In einer solch krisenhaften Situation bin ich nicht derjenige, der das Schiff verlässt. Aber ich glaube auch daran, dass jeder in dem, was er tut, ersetzbar ist.