Verlogenes Gerede

betr.: „Entscheidung aus tiefer Not“, taz vom 18. 12. 08

Von größerer Bedeutung für die Debatte ist eine Forderung, die Kerstin Griese so formulierte: „Man muss ein eindeutiges Zeichen setzen, dass eine Behinderung nicht der Grund für eine Abtreibung sein darf.“ Als wäre die Geburt eines schwerbehinderten Kindes nicht Grund genug zu der Annahme, dass die Mutter dadurch einer besonders schweren Belastung ausgesetzt wird. Ich habe selbst ein schwerbehindertes Kind, und manchmal war es mehr, als ich verkraften konnte; manchmal hatte ich tagelang mit psychosomatischem Erbrechen zu tun. Nach dieser Erfahrung bin ich dafür, die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch regelmäßig als gegeben anzusehen, wenn anderenfalls die Geburt eines schwerbehinderten Kindes zu befürchten wäre. Innerhalb einer gewissen Frist – ich denke an die ersten 22 Wochen – sollte die Indikation auf jeden Fall anerkannt werden, auch ohne dass die Schwangere ihr Seelenleben entblößen und einen Arzt darüber befinden lassen muss, ob denn auch wirklich eine Gefahr für ihre körperliche und seelische Gesundheit besteht.

Zum Mindesten sollte man aufhören, so zu reden, als wäre die Geburt eines schwerbehinderten Kindes überhaupt nichts Schlimmes. Solch verlogenes Gerede wird kaum dabei helfen, „die gesellschaftlichen Einstellungen zu Behinderten positiv zu verändern“. Es führt eher dazu, dass Behinderte als Menschen wahrgenommen werden, deretwegen man nicht offen über bestimmte Probleme sprechen darf. Es trägt eher dazu bei, dass viele Menschen sich in Gegenwart von Behinderten befangen fühlen und ihnen lieber aus dem Weg gehen. IRENE NICKEL, Braunschweig