Dominic Johnson über den AU-Migrationsgipfel

Staaatschefs sehen keinen Bedarf an Dörflichkeit

Nach Jahren der Abschottung dürfen Afrikaner wieder in der EU arbeiten. Die Afrikadörfer, in denen Migranten auf Europa vorbereitet werden, stoßen allerdings auf Widerstand ebenso wie die Verpflichtung, Europas Rentenkassen zu sanieren

Auf Unmut ist gestern beim dritten außerordentlichen Migrationsgipfel der Afrikanischen Union (AU) der Vorschlag des AU-Alterspräsidenten Muammar al-Gaddafi gestoßen, 114 neue Afrikadörfer in der Saharawüste anzulegen. Mehrere afrikanische Präsidenten machten auf dem Treffen in Tunis geltend, es sei afrikanischen Spitzenkräften nicht länger zuzumuten, wie bisher sechs Monate unter extremen klimatischen Bedingungen zu verbringen, um hinterher das begehrte EU-Einreisevisum zu erhalten. „Unsere Leute haben von Gaddafis künstlichen Oasen mit Satelliten- und Internetanschluss die Nase voll“, schimpfte ein Staatschef aus Zentralafrika. „Sie wollen direkt nach Europa und nicht nach Libyen.“

In mehreren der 17 existierenden Afrikadörfer in Libyen war es in den letzten Monaten zu Aufständen gekommen. Insgesamt 23.400 ausgewählte Afrikaner werden hier derzeit in sechsmonatigen Kursen darauf ausgebildet, den Status eines Einwanderungsberechtigten für die Europäische Union zu erhalten. Neben Kursen unter anderem über die wechselvolle Geschichte der EU-Verfassung und einer umfassenden medizinischen Behandlung zur Ausrottung sämtlicher Tropenkrankheiten lernen die zumeist mit Hochschulabschluss angereisten Kandidaten, sich möglichst unauffällig in der europäischen Gesellschaft zu verhalten, damit sie nach der Ankunft in der EU Chancen auf einen hochdotierten Job haben – ohne den werden sie nach einem Jahr wieder nach Afrika ausgewiesen. In ganz Afrika existieren derzeit 88 Afrikadörfer mit 96.500 Insassen. Rund 800.000 Afrikaner, die ein Afrikadorf duchlaufen haben, leben bereits aufgrund dieser Regelung dauerhaft legal in der EU. Nach europäischen Planungen soll die Zahl bis zum Jahr 2037 auf 6,5 Millionen steigen. Dafür müssten aber Tausende Afrikadörfer errichtet werden, wofür kein Geld da ist.

Protest in Afrikadörfern

Die Aufständischen in den libyschen Afrikadörfern nahe der ägyptischen Grenze hatten vor allem über die nicht funktionierenden biometrischen Lesegeräte protestiert, die ihre Ausreise nach Europa teils monatelang verzögern, sowie gegen das teils brutale Vorgehen der EU-Eingreiftruppen, die die Lager bewachen. Gefordert wurde außerdem eine Senkung der Mindesteinkommensgrenze, die ein afrikanischer Einwanderungsberechtigter in der EU innerhalb von zwei Jahren erzielen muss, um eine dauerhafte Arbeitserlaubnis zu erzielen. Außerdem wurde die Verpflichtung an die Migranten kritisiert, die in Europa angehäuften Ersparnisse für die eigenen, in Afrika zurückbleibenden eigenen Kinder und Verwandten mindestens zehn Jahre lang in der EU-Sozialrentenkasse anzulegen. Dies war allerdings eine Bedingung der Prager EU-Regierung gewesen, um den aus Sicherheitsgründen verhängten mehrjährigen kompletten Einreisestopp für Afrikaner wieder teilweise aufzuheben.

Mehrere afrikanische Präsidenten machten geltend, dass angesichts der jüngsten Unruhen die Einrichtung neuer Afrikadörfer auf libyschem Gebiet kontraproduktiv sei, solange die Lockerung des Einreisestopps der EU nicht endlich auch auf Muslime ausgedehnt werde. Vielmehr müsse endlich jedes Land in Afrika eigene Afrikadörfer bekommen. Man könne von keiner afrikanischen Regierung einen Verzicht auf eigene Afrikadörfer erwarten, solange es weiterhin dabei bleibe, dass EU-Entwicklungshilfe nur in solche Länder Afrikas fließt, die Afrikadörfer gründen, mahnte der AU-Sonderbeauftragte für Menschenwürde, Kofi Annan. Jedes afrikanische Land habe Anspruch auf Gleichberechtigung im Hinblick auf die Wünsche der Europäer.

Gaddafi stimmte zu: Die Afrikadörfer seien gelebte afrikanische Einheit. „Afrika darf sich nicht nach Religionen spalten lassen. Die Religionen haben Afrika in Elend und Abhängigkeit gestürzt und wir müssen sie überwinden, um das historische Projekt der Einheit Afrikas zu realisieren.“ Er selbst habe ja schließlich schon seit 20 Jahren keine Religion mehr und sei bei besserer Gesundheit denn je.

Auf einem Sondertreffen des Gipfels mit dem „Forum der Städtepräsidenten“ wiederholten die Präsidenten der Metropolen Lagos, Kinshasa und Johannesburg ihre alte Forderung, den Begriff „Afrikadorf“ ganz aufzugeben. „Die meisten meiner 35 Millionen Bürger haben nie ein Dorf gesehen und würden nie in eines ziehen“, wütete General Wale aus Lagos und wiederholte seinen Vorschlag, zwei Stadtteile an die EU abzutreten, damit diese aus den dortigen Bewohnern arbeitsfähige Menschen mache.

Einstimmige Resolution

Annan wiederum bedauerte die gerade in den Metropolen häufig zu beobachtende Gründung „wilder“, spontaner Afrikadörfer durch ehemalige Bürgerkriegsmilizionäre, deren Insassen dann versuchten, gewaltsam die Mauern um die europäische Botschaft niederzureißen. Dies schade dem Ansehen Afrikas in der Welt, sorgte sich der ehemalige UN-Generalsekretär. Zugleich aber kritisierte er die um sich greifende Praxis europäischer Unternehmen in Afrika, von ihrer afrikanischen Belegschaft EU-Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Sie begründen dies mit der von Prag geforderten Nachweispflicht, dass die Auslagerung von Arbeitsplätzen nicht die Rentenkrise des „alten Kontinents“ verschärfe. „Wir in Afrika haben auch Rentner, die einen Anspruch auf ein würdiges Altern haben“, betonte Annan. „Das 21. Jahrhundert gehört den Rentnern der ganzen Welt. Ohne uns wären unsere Kinder nicht das, was sie sind.“

In einer einstimmig angenommenen Resolution beschlossen die afrikanischen Politiker, auf ihrem nächsten Treffen in zwei Jahren zu erwägen, für diese und ähnliche Probleme eine Arbeitsgruppe einzurichten, die über die Einsetzung einer Kommission entscheiden könnte.