Barbara Dribbusch über Senioren-Gehälter

VW schickt die Alten auf den Weg des Patagonia

Der Wolfburger Konzern muss den Umsatzeinbruch beim Patagonia Extreme auffangen. Der Verkauf des selbstversorgenden Wohnmobils liegt zwanzig Prozent unter der angepeilten Zielmarke. Die VW-Geschäftsführung will deshalb den Tarifvertrag 55 plus in der Seniorenfabrik in Celle aufbrechen – und droht sogar mit der Verlagerung des Werks „Future II“ nach Polen, wenn die Mitarbeiter einer Lohnanpassung nicht zustimmen. Betriebsrat und IG Metall Nord habne bereits „erbitterten Widerstand“ angekündigt.

Winfried Scheuermann tobt. Denn bei dem, was hier im Werk „VW Future II“ in Celle passiert, geht es auch um Würde. „Menschen sind doch keine Maschinen“, beschwört Scheuermann, 60 Jahre alt und Betriebsratsvorsitzender, „die Leute sind unterschiedlich. Die kann man doch nicht über einen Leisten schlagen.“ Genau das aber möchte die Werksleitung vom kommenden Herbst an. Der Entgelttarif 55 plus in Celle habe sich nicht bewährt, klagt Werksleiter Norbert Lüdenscheid, „wir brauchen eine realistische Lohnanpassung nach unten, damit der Standort Celle eine Chance hat“. Am kommenden Dienstag will die Geschäftsführung des Autobauers VW mit der IG Metall Nord über entsprechende Öffnungsklauseln im Haustarif beraten. Mit dem Streit um die Lohnstruktur bei VW Future II gerät eines der Vorzeigeprojekte des Wolfsburger Autokonzerns in Misskredit. Im Jahre 2023 als Tochterfirma gegründet, sollte das Celler Werk das personalpolitische „Future“-Konzept des VW-Konzerns erfolgreich weiterführen. In den Future-Werken für Beschäftigte über 55 Jahren, die nach dem Vorbild der japanischen Seniorenfirmen gestaltet wurden, baut VW nun schon seit Jahren die Wohnmobile der Patagonia-Serie. Für dieses Konzept hatte die IG Metall dem Haustarifvertrag „Tarif 55 plus“ zugestimmt.

Vorbild Japan

Der Tarif sieht für die Beschäftigten eine Bezahlung vor, die 15 Prozent unter den gängigen Entgelttabellen in den VW-Hauptfirmen liegt. Dafür wacht der Betriebsrat allerdings darüber, dass die Fertigungsstraßen langsamer getaktet und die Erholzeiten für die ArbeitnehmerInnen über 55 Jahre länger sind. Doch der Tarif sei gemessen an der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter inzwischen „zu hoch“, bemängelt Werksleiter Lüdenscheid. Der Krankenstand im Celler Werk mit rund 8.000 Beschäftigten liege bei immerhin 13 Prozent und befinde sich damit weit über dem Krankenstand in den Hauptfirmen. Den Grund sieht Lüdenscheid in der veränderten Altersstruktur: „Früher arbeiteten in einem Future-Werk vor allem Leute in den 50ern. Doch in Celle haben wir jetzt fast zur Hälfte über 60-Jährige.“ Manche der Beschäftigten fielen wiederholt monatelang aus und trieben den Krankenstand nach oben.

Längere Erholzeiten

„Wir müssen das Future-Konzept noch mal überdenken“, so Lüdenscheid, „die Debatte über Leistungsfähigkeit muss ehrlicher werden.“ Der VW-Konzern will das Entgelt im Celler Werk jetzt über eine Öffnungsklausel im Haustarifvertrag an den Krankenstand koppeln und demgemäß um 8 Prozent senken. VW erwägt zudem die Gründung einer weiteren Unterabteilung, in der gesundheitlich Eingeschränkte in Teilzeitarbeit vor allem Wartungsarbeiten durchführen. Als Ausgleich für die Lohnkürzung sollen die Erholzeiten in den Fertigungsstraßen um 4 Minuten auf insgesamt 15 Minuten pro Stunde verlängert werden.

„Wir sind doch schon Billiglöhner, wie weit soll es denn noch nach unten gehen?“, hält Betriebsrat Scheuermann dem entgegen. Scheuermann und die regionale IG Metall vermuten, dass hinter dem Streit um den Tarif 55 plus ganz andere Motive stehen. „Der Absatz des neuen Patagonia-Modells läuft

Der Tarif sei gemessen an der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter „zu hoch“, bemängelt Werksleiter Lüdenscheid

schlecht. Das Management will einfach nur einsparen“, ist Scheuermann überzeugt.

Der „Patagonia Extreme“ sollte sich vor allem an die Käufergruppe der Langzeitreisenden wenden, darunter Ruheständler, die oft wochenlang in entsiedelten Landschaften, etwa in Osteuropa, unterwegs sind. Mit einer neuen komfortablen Nasszelle und einer eigenen Trinkwasseraufbereitungsanlage ist es möglich, mit dem Patagonia Extreme auch in unwirtlichen Gebieten komfortabel zu reisen.

Patagonia zu teuer

Doch die Rechnung der VW-Entwickler ging nicht auf. Der Umsatz beim Patagonia extreme liegt zwanzig Prozent unter der angepeilten Zielmarke. Insagesamt sind im vergangenen Jahr nur 8.000 Fahrzeuge aus der Patagonia-Reihe in ganz Westeuropa zugelassen worden. „Die Zielgruppe wohlhabender Ruheständler, die sich einen solchen Zweitwagen leisten können und wollen, ist vielleicht doch nicht so groß, wie wir dachten“, räumte Werner Siefert, VW-Marketing-Chef, im Gespräch mit der taz ein. Inzwischen gibt VW beim Patagonia Extreme das Solarzell-Aggregat sogar als Serienausstattung ohne Aufpreis mit. Doch auch diese Maßnahme konnte den Verkauf nicht ankurbeln. „Der Patagonia Extreme war von Anfang an zu teuer konzipiert“, rügt Scheuermann. „Aber das ist ein Managementfehler und nicht die Schuld der Beschäftigten.“ „Wir haben derzeit Überkapazitäten in Celle“, räumte Lüdenscheid auf Nachfrage ein, „deswegen können wir die Lohnsenkung ja auch mit einer Arbeitszeitentlastung verbinden.“ Doch der Betriebsrat und die IG Metall wollen von längeren Erholzeiten nichts wissen. „Die Leute können auf Entgelt nicht verzichten“ sagte Bezirkschef Sascha Wille von der IG Metall Nord im Gespräch mit der taz, „die müssen doch auch noch was sparen, für die hohen Gesundheitsausgaben im Alter.“ Im Gespräch mit VW-Vertretern am kommenden Dienstag möchte sich der Gewerkschaftsmann, Spitzname „der starke Wille“, daher „unnachgiebig“ zeigen.

Verlagerung nach Polen?

Doch die Chancen von Wille und Scheuermann, keinerlei Kompromiss eingehen zu müssen, stehen schlecht. Wiederholt hat die Unternehmensleitung damit gedroht, die Fertigung in Celle ins polnische Opole zu verlagern und dort ein neues Werk „Future III“ für ältere Beschäftigte zu gründen. Die EU-Fördermittel für Seniorenwerke könnte VW auch für einen Betrieb in Osteuropa kassieren.

„In Polen würden wir mit offenen Armen empfangen“, hatte VW-Unternehmenschef Meyer-Westerhusen erst vor einigen Wochen am Rande einer Tagung erklärt, „auch in den östlichen EU-Staaten gibt es ein gravierendes Alterungsproblem.“ Das einzige bisher existierende Seniorenwerk in Polen zahlt Löhne, die nochmal 10 Prozent unter denen in vergleichbaren deutschen Betrieben liegen.