Der öffentliche Patient

Seit seinem spektakulären Silbermedaillengewinn in Sydney hatte der Triathlet Stephan Vuckovic vor allem mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Jetzt ist er gerüstet für neue olympische Taten

„Mir geht es so gut wie in den letzten dreieinhalb Jahren nicht“

VON FRANK KETTERER

Dass so langsam, aber sicher die Olympischen Spiele vor der Tür stehen, hat Stephan Vuckovic in den letzten drei Wochen immer wieder zu spüren bekommen. Kaum ein Tag verging, an dem nicht jemand von Presse, Funk und Fernsehen angerufen und den 31-Jährigen befragt hätte zu Athen und Olympia – und wie es denn bei ihm derzeit so um die Form bestellt sei. „Das war richtig stressig“, sagt Stephan Vuckovic und sieht dabei doch eher erfreut aus als gestresst. Als Profi-Triathlet lebt er schließlich davon, dass die Menschen sich interessieren für ihn und sein Tun; und dass Olympia und Vuckovic schon im Vorfeld des sommerlichen Festes in Griechenland ein großes Thema für ebensolche Geschichten in den Medien würden, war dem Silbermedaillengewinner von Sydney ohnehin so klar wie die Sonne über der Ägäis.

Den Grund dafür hat Stephan Vuckovic auf Video gebannt. Es zeigt, zumindest am Ende, einen jungen Mann mit kahlem Schädel über einen blauen Teppich tanzen, die deutsche Fahne um die Schultern gewickelt. Es ist ein ausgelassenes Tänzchen, es ist auf der Zielgeraden, und es ist Stephan Vuckovic, der da so ausgelassen auf der Zielgeraden tanzt. Dass der Reutlinger kurz zuvor noch den Kanadier Simon Whitfield an sich hat vorbeiziehen lassen müssen im olympischen Triathlonrennen und gleich als Zweiter über die Ziellinie tanzen wird, spielt in dem Streifen keine Rolle, so wie es auch für Vuckovic keine Rolle spielt. Natürlich hat auch er schon ab und zu daran gedacht, was wohl passiert wäre, wenn er auch noch den Kanadier hinter sich gelassen hätte. „Manchmal, wenn ich mir das Video anschaue, hoffe ich schon, dass ich auch mal als Erster über die Ziellinie laufe. Aber immer überholt mich der Kollege“, sagt Vuckovic und grinst. Normalerweise ist der Zweite im Sport der erste Verlierer, aber Vuckovic, der Triathlet, hat diesen Satz vor dreieinhalb Jahren auf der blauen Zielgeraden von Sydney außer Kraft gesetzt – und er weiß das auch. „Das Gold von Nils Schumann, das Gold von Heike Drechsler und mein Zieleinlauf, daran erinnern sich die Leute“, sagt der 31-Jährige. Die in solchen Dingen eher zurückhaltende FAZ hat ihn damals den „glücklichsten Zweiten der Spiele“ genannt, ganze zwei Tage war Olympia da alt.

Sydney ist Vergangenheit, Vuckos wunderbarer Tanz aber ist immer noch da, nur deshalb erinnern sich die Menschen noch an ihn. Sportlich konnte der Reutlinger seit Olympia nämlich kaum mehr von sich reden machen, wie sollte er auch: Bei der Europameisterschaft im Sommer nach dem Tanz erkrankte Vuckovic an Legionellen. Ausgerechnet in der Nacht vor der EM im tschechischen Karlsbad überfielen sie seinen Köper – und legten ihn für lange Zeit lahm. „Ein paar Stunden später ins Krankenhaus, und ich weiß nicht, wie alles gekommen wäre“, erinnert sich der 31-Jährige. Ziemlich wahrscheinlich, dass er dann bleibende Schäden zurückbehalten und nie mehr Leistungssport hätte treiben können; nicht auszuschließen, dass es gar noch schlimmer hätte ausgehen können, jedenfalls haben ihm die Ärzte das so gesagt.

Vuckovic ist zurückgekommen, auch wenn es ein langer und beschwerlicher Weg war. Als er ein halbes Jahr nach seiner Viruserkrankung zum ersten Mal wieder 1.000 Meter gerannt ist, benötigte er dafür vier Minuten – und das Hez schlug ihm anschließend bis zum Hals. Als er weitere sechs Monate später das erste Mal wieder bei einem Wettkampf an den Start ging, brach er das Rennen schon auf dem Rad ab, weil erneut der Puls so raste, dass ihm angst wurde; vom Training kannte der Reutlinger das bisweilen schon. „Auf die Dauer geht man daran physisch fast kaputt, weil man Schiss hat, dass da mit dem Körper immer noch etwas nicht stimmt“, erinnert er sich.

Stephan Vuckovic ist nicht daran kaputtgegangen, so wenig, wie er bei den Menschen in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten ist. Zwar fehlten große Siege und Triumphe, mit denen sich ein Sportler normalerweise in der öffentlichen Erinnerung hält und in den Schlagzeilen der Zeitungssportteile, dafür aber gab es nun die heimtückische Viruserkrankung – und sein Kampf gegen sie. Vuckovic inszenierte sich in dieser Zeit geschickt als öffentlicher Patient – zusammen mit dem Tänzchen von Sydney reichte das aus, um im Gespräch zu bleiben – und im Gedächtnis der Menschen.

Zumal die vier Jahre demnächst ja um sind und somit das, was man eine Olympiade nennt. Athen steht an, die nächsten Spiele, und es trifft sich nicht schlecht, dass der 31-Jährige sich endlich wieder bereit fühlt zu großen Taten. „Mir geht es so gut wie in den letzten dreieinhalb Jahren nicht“, sagt Vuckovic jedenfalls, und dass dies nicht nur ein diffuses Gefühl ist, bekam er Ende März sogar wissenschaftlich bestätigt: Bei einem Lauftest waren die Werte so gut wie noch nie. Solche Dinge geben einem Leistungssportler immer Sicherheit, Vuckovic haben sie zudem den Beweis geliefert, dass er mit seinem Trainingskonzept nicht prinzipiell falsch liegt. Der 31-Jährige hat sich, zumindest was die Organisation seines Trainingsalltags angeht, weitgehend abgekapselt von seinem Verband, der Deutschen Triathlon Union (DTU), und sich am Olympiastützpunkt in Stuttgart sein autonomes Umfeld eingerichtet. Beim Laufen erhält er Unterstützung von Marathon-Bundestrainer Wolfgang Heinig, die Radtrainingspläne stellt ihm seit diesem Jahr Thomas Schediwie zusammen, der auch T-Mobile-Radprofi Steffen Wesemann trainiert. Das Schwimmen führt Vuckovic gänzlich in Eigenregie durch, ebenso wie die Verknüpfung der drei Einzeldisziplinen zu einer – Triathlon. „Ich probiere da ziemlich viel aus, schon um zu sehen, welche Belastungen ich am besten vertrage“, sagt Vuckovic. Als Einzelgänger ist es ihm bei Bedarf besser möglich, das Pensum auch mal kurzfristig umzustellen, als im Verbund einer Trainingsgruppe. Das empfindet Vuckovic als wichtig für sich und sein sportliches Tun, schon wegen seiner Krankenakte. „Ich höre viel mehr in meinen Körper rein als früher“, sagt er. Zwar ist man in der DTU prinzipiell darum bemüht, die Topathleten am Olympiastützpunkt in Saarbrücken versammelt und unter Trainingsaufsicht zu haben, beim Olympiazweiten machen aber sowohl Bundestrainer Ralf Ebli als auch Verbandspräsident Klaus Müller-Ott eine Ausnahme. „Die wissen, dass ich in Athen gewinnen kann – wenn sie mich so machen lassen, wie ich es derzeit mache“, sagt Vuckovic.

Das sind nicht eben kleine Worte, zumal noch gar nicht endgültig fest steht, ob der Reutlinger überhaupt wieder mit von der Partie ist bei Olympia, noch hat er sich nicht qualifiziert. Das soll sich am Sonntag freilich ändern, dann steht bei der EM in Valencia das Männer-Rennen an. Mindestens unter die ersten zehn, so die verbandsinternen Normen, muss es Vuckovic da schaffen, dann hat er das Ticket sicher. Sollte ihm das nicht gelingen, stünde schon eine Woche später die nächste Bewährungsprobe beim Weltcup im mexikanischen Mazatlán an. Daran freilich will Stephan Vuckovic nicht denken. Warum auch? Er fühlt sich ja endlich wieder in Form. Mal sehen, ob sie für ein Tänzchen ausreicht.