CONTRA

Die Sonderprämien der AMG wiegen Menschen in falscher Sicherheit. Nachlässig behandelt, werden auch genoptimierte Körper krank. Zuverlässiger gesund hält eine vernünftige Vorsorge. Und – Individualität darf nicht zum Luxus werden

Vorsorge ist besser als Genoptimierung

Sicherlich würde heute niemand mehr behaupten, das Leben sei mit HIV, Alkoholismus und Heuschnupfen schöner gewesen und es sei daher wünschenswert, die Uhr des medizinischen Fortschritts zurückzudrehen. Dies kann aber nicht als Begründung für die Aufgabe körperlicher Individualität herhalten.

Es ist problematisch, etwa für ein Recht auf blaue Augen zu streiten – was ist schlecht an braunen Augen? Nun will die AMG etwas belohnen, womit wir uns bislang so konkret nicht auseinander setzen mussten. Die Grauzone, wie unterschiedlich wir aussehen möchten, wie unterschiedlich wir uns unsere Kinder wünschen, ist schwer auszuloten, die Wünsche sind schwer auf einen Nenner zu bringen. Doch wir befinden uns auf verschiedenen Argumentationsebenen, wenn moralische gegen finanzielle Erwägungen ins Feld geführt werden.

Fragen wir uns doch, was wir tatsächlich gewinnen, wenn wir uns ideale Kinder basteln. Ist es denn das Gesundheitswesen, das die hauptsächlichen Kosten tragen wird? Es mag sein, dass Menschen mit der Hautfarbe N 241 ein geringeres Risiko tragen, an Hautkrebs zu erkranken. Es mag sein, dass Menschen, die höchstens 1,75 Meter groß werden, seltener an Rückenbeschwerden leiden.

Aber ist dieser Weg nicht letztlich eine Milchmädchenrechnung? Kinder mit heller Hautfarbe werden dazu angehalten, sich nicht zu lang der Sonne auszusetzen. Werden Eltern von genoptimierten (GO) Kindern leichtsinniger? Wenn man sich mit der Hautfarbe N 241 permanent direkter Sonneneinstrahlung aussetzt, bekommt man auch Hautkrebs. Bislang blieb es Sache des Individuums, vom Idealgewicht abzuweichen. Nun zielt die AMG auch darauf ab, diese Abweichung genetisch zu verhindern. Damit lassen wir uns in den April schicken – Fettleibigkeit wie Magersucht werden auch künftig in starkem Maße psychische Störungen sein, nicht nur genetische Disposition. Gleiches gilt auch für Rückenbeschwerden und viele andere Dinge. Das Problem liegt darin, dass den Beteiligten vorgemacht wird, eine Genoptimierung könnte unsere finanziellen Probleme lösen. Diese Karte lässt sich nicht unbegrenzt ausspielen. Die Wissenschaft kann künftig nicht vorschlagen, einen Menschen ohne Herz zu entwickeln, damit er keine Kosten durch Herzinfarkt verursachen kann. Wir wissen, dass trotz aller Impfungen und genetischen Veränderungen Menschen erkranken werden. Das Risiko durch Genoptimierung zu reduzieren löst das Problem nicht, es wiegt nur in falscher Sicherheit.

Wird helle Haut Statussymbol, Zeichen, dass sich Eltern hohe Kassenbeiträge leisten können?

Darum möchte ich das Augenmerk auf eine Möglichkeit richten, die besser beeinflussbar ist und es vor allem bleibt: die medizinische Vorsorge. Wir haben weder die Krankheiten besiegt, die durch körperliche Abnutzungserscheinungen hervorgerufen werden (vor allem Erkrankungen des Skeletts) noch einige Formen der Krebserkrankung. Gerade diese Lücke möchte die Genoptimierung schließen, doch gerade diese Lücke füllt Vorsorge weit wirksamer, weil sie keinen Grund zu Sorglosigkeit vorgaukelt. Vorsorgemaßnahmen nehmen alle langfristig in die Pflicht, aus der die Genoptimierung sie zu entlassen scheint. Denn die nun von der Krankenkasse künftig belohnte umfassende Genoptimierung ist keine Garantie gegen Erkrankungen jeglicher Art. Sie reduziert Risiken – was eine Vorsorge ebenfalls leistet. Von der Optimierung profitieren auch Laboratorien und Früherkennungszentren, wodurch wir einen Teil der Kosten verlagern. Hinzu kommen mögliche Folgekosten durch einen leichtsinnigen Umgang mit dem vermeintlich optimalen Körper. Nur flächendeckende Vorsorgemaßnahmen sind kurz- wie langfristig günstig.

Die andere Seite der GO-Maßnahmen ist, dass Individualität ein Luxusgut werden wird. Der Vorstoß der AMG ist ein zweischneidiges Schwert – wird es künftig ein Luxus sein, ein hellhäutiges, großes Kind zu haben? Wird es ein Statussymbol werden, ein Zeichen dafür, dass sich die Eltern hohe Krankenkassenbeiträge leisten können? Und welche Störungen werden wir uns ins Haus holen, wenn es nicht der menschlichen Psyche entspricht, körperlich genormt zu sein? Die Auswirkungen dieser Maßnahme sind nicht abzusehen, und ich möchte ausdrücklich vor ihnen warnen. Denn wenn wir erst einmal eine Generation von GO-Kindern auf die Welt gebracht haben, werden wir alle mit sämtlichen unvorhersehbaren Folgen leben müssen.