Orientierung im Paradies

Die Modellpalette fast unüberschaubar, die Technik immer raffinierter, der Fahrradhändler schwer beschäftigt. Clevere Kunden machen sich vor dem Kaufen schlau – und wissen auch, wie und wo

VON HELMUT DACHALE

Schnäppchenjäger und Technikfreaks geraten in Erregung, zögerliche Menschen womöglich in Panik. Willkommen bei Stadler, nach Selbsteinschätzung das „größte Zweiradcenter Deutschlands“. Allein in den Riesenfilialen Regensburg, Bremen und Berlin könnte man eine Verkaufsfläche von jeweils 10.000 Quadratmetern und mehr abschreiten: Modelle für Alltagsradler wie für Sportive, gangschaltungsfreie Cruiser wie Rennräder mit 27-Gang-Schaltwerk. Regale und SB-Wände sind gespickt mit Nabendynamos, Federgabeln, Diodenleuchten und anderen beratungsintensiven Komponenten. Doch wer berät?

Der VSF (Verbund selbst verwalteter Fahrradbetriebe) glaubt, dass in diesem Punkte „Discounter und ‚Grüne Wiese‘ personalbedingt passen müssen“. Seine rund 160 Mitgliedsbetriebe versprechen hingegen ein „Fairkaufs“-Erlebnis, zu dem auch „nachhaltige Beratung“ gehöre. Schließlich sei das Fahrrad „ein Produkt mit hohem Erklärungsbedarf“. Könnte auch heißen: Mit Vielfalt respektive Unübersichtlichkeit des Angebots und zunehmender Technisierung der Produkte ist überall zu rechnen. Viele haben das schon erlebt: Sie bekamen zwar einen Verkäufer zu packen, waren aber nicht in der Lage, seiner kodierten Sprache zu folgen. Fühlten sich nicht ernst genommen. So was kommt auch in Fachgeschäften mit überschaubarem Sortiment vor, nicht nur in den großen Märkten. Im Radmarkt, Fachmagazin des Handels, machte sich der Chefredakteur über einen Kunden lustig, der sich just in der jetzt beginnenden Hochsaison „mit dem bekannt lang gezogenen ‚Was ist denn da der Unterschied?‘ gerade das dritte Citybike erklären lässt“.

Wohl auch deshalb gibt es Bestrebungen, mit der Aufklärung bereits vorm Betreten eines Ladens anzusetzen. Auch Händler und Hersteller sind darum bemüht. Selbst Stadler. Auf seiner Website (www.zweirad-stadler.com) findet sich eine Auflistung der gängigen Fahrradtypen, denen jeweils ein paar Merkmale zugeordnet sind. So ist unter anderem zu erfahren, dass beim MTB „höchste Rahmenqualität“ zu erwarten ist, aber „keine StVZO-Ausstattung“. Das Hollandrad hingegen erlaube „bequemes, aufrechtes Fahren mit Flair“.

Wem das zu schlicht erscheint, wird über kurz oder lang auf die Beratung des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) stoßen. Etwa auf die Info-Clips seiner Zeitschrift Radwelt: Auf drei, vier Seiten informieren sie über ein begrenztes Thema, etwa über Sättel, Federungen, aber auch darüber, wie man sich beim Fahrradkauf behauptet. Fachkundige Tipps für Laien, die den Stand der Ahnungslosigkeit verlassen möchten. Die gesammelten Beiträge seit 2000 stehen auch im Internet – dummerweise in einem exklusiven Bereich. For members only. Nichtmitglieder schicken 1,44 Euro Rückporto an den ADFC (Postfach 10 77 47, 28077 Bremen) und erhalten dann zum Beispiel den Info-Clip „Fahrradkauf“.

Mehr Wissen fürs Rad fahrende Volk – darum bemüht sich auch die Utopia Velo GmbH. Ihr „RadRatgeber“ ist vor kurzem in der 11. Auflage erschienen – und er hat sich längst einen legendären Ruf erworben. Dabei präsentiert die Broschüre im A 4-Format auf den ersten Seiten zuerst einmal die Velos der eigenen Produktion. Utopia, ein Hersteller gediegener Qualität, bedient vor allem die wertkonservative Zielgruppe. Und da der Kunde bei seinen Modellen weitgehend bestimmen kann, welche Teile ihm ans Rad kommen, hat sich das Unternehmen zur Aufgabe gemacht, ihm möglichst viel zu erklären. „Ich möchte, dass der Kunde vorinformiert ins Fahrradgeschäft geht, das ist heute wichtiger denn je“, so der Anspruch von Ralf Klagges, dem Inhaber. Also lässt er es sich nicht nehmen, die Texte selbst zu formulieren, den Reader selbst zusammenzustellen. Klagges informiert über die Vor- und Nachteile von Nabenschaltungen, erklärt, wie eine Gabelfederung funktioniert, welcher Gepäckträger belastbar ist, wie der Ledersattel gepflegt werden sollte. „Ein Drittel meiner Arbeitszeit geht dafür drauf“, schätzt er.

Auf alle Fälle sollte sich jeder Kaufwillige die Seite mit den Sitzpositionen anschauen. Denn davon hängt vieles ab, erklärt der Experte. Das Modell, die Ausstattung. Wer unbedingt aufrecht sitzen möchte, braucht nun mal keinen Rennlenker – und somit die Abteilung mit den Flitzern erst gar nicht zu besuchen.

Utopias Katalog hat eine Druckauflage von 60.000 Exemplaren und wird normalerweise gegen sechs Euro abgegeben. Doch Klagges weiß, wie begehrt seine Infos sind – und so stellt er den Katalog per Internet zur Verfügung (www.radratgeber.de): „Rund 500.000 Menschen lesen jährlich die Texte auf unserer Website, 100.000 downloaden gleich den kompletten Katalog.“

Aufklärung tut Not. Auch bei denen, die Klagges’ Räder nie kaufen würden. Allerdings sind die auch nicht überall zu haben. Bei Stadler etwa, dem „größten Zweiradcenter Deutschlands“, wird man vergeblich suchen.