Vorurteile aus dem Abrisshaus

Anwohner eines Gladbecker Hochhausblocks protestieren gegen schlechte Wohnbedingungen. Auslöser ist die Unterbringung von 100 polnischen Arbeitern der Zeche Prosper Haniel in Bottrop

VON KLAUS JANSEN

„Wir sind Rentforter Bürger! Holt uns hier raus!“, ist das anonyme Flugblatt betitelt. Die Bewohner des zu 50 Prozent leer stehenden Hochhausblocks an der Schwechater Straße 38 in Gladbeck beschweren sich: Über Kakerlaken, Müll und Rohrbrüche. Über den privaten Wohnungsverwalter TRV. Vor allem aber über 100 polnische Bergarbeiter, die seit einigen Wochen in ihrer Nachbarschaft wohnen. Dabei lassen die Anwohner kein rassistisches Vorurteil aus: Von Mafiosi, die ihre eigenen Prostituierten mitbringen, ist die Rede. Szenarien von Vergewaltigungen, Schmuggel und Raub werden prophezeit. Da hilft es auch nicht, dass das Flugblatt mit dem Titel „Satire“ überschrieben ist.

Die polnischen Arbeiter sind in Wohnungen ihres Arbeitgebers untergebracht: Der polnischen Firma Koppex, die in der Zeche Prosper Haniel im benachbarten Bottrop den Streckenvortrieb der Stollen vornimmt. Auch das passt einigen Anwohnern scheinbar nicht: Ob es denn richtig sei, dass Gastarbeiter eingesetzt würden, während dieses Jahr 165 Kumpel der Zeche entlassen würden, fragt eine Anwohnerin in einem Leserbrief an die Lokalzeitung.

Doch das Stereotyp, nachdem die polnischen Arbeiter den einheimischen Kumpels die Arbeitsplätze wegnehmen, greift nicht: „Wir haben überhaupt keine deutschen Anbieter, die Werkverträge für den Streckenvortrieb übernehmen können“, sagt Udo Augustin, Sprecher der zuständigen Agentur für Arbeit in Gelsenkirchen. Der Betreiber der Zeche Prosper Haniel äußert sich noch deutlicher: „Wenn wir keine ausländischen Spezialisten beschäftigen würden, könnten wir den Laden bald dicht machen“, sagt Ulrich Aghte, Sprecher der Deutschen Steinkohle AG. Die polnischen Bergleute würden nach deutschen Tarif-Mindestlohn bezahlt. „Natürlich ist das für uns billiger“, sagt Aghte, „aber wir sind als Subventionsnehmer verpflichtet, europaweit das günstigste Angebot einzuholen.“ In den meisten Zechen des Ruhrgebiets würden Werkverträge an Externe vergeben. Über die Vorurteile der Gladbecker Anwohner ist er enttäuscht: „Das sind Klischees der 70er Jahre. Ich dachte, wir hätten das hinter uns.“

Das sieht auch die Stadt Gladbeck so. Bürgermeister Eckhard Schwerhoff (CDU) rief die Anwohner zu mehr Toleranz auf. Sein Sprecher Peter Breßer-Barnebeck sagt betont, dass sich die Bergleute friedlich verhalten. „Alleinstehende Männer fallen ja nicht notwendigerweise über andere Leute her“, sagt er. „Die Menschen sind doch froh, dass sie hier arbeiten können.“ Zudem befänden sie sich in doppelter Abhängigkeit, da ihr Vermieter gleichzeitig ihr Arbeitgeber sei. Allerdings sieht er auch Konfliktpotenzial: „So ein Riesenhaus, das nicht integriert ist, das birgt schon sozialen Sprengstoff.“

Um den zu entschärfen, ist nun auf Einladung des Sozialamts eine Arbeitsgruppe mit Anwohnern, Polizei und Wohnungsverwaltung gegründet worden, in der die Zukunft des Hochhauses beraten werden soll. Diskutiert wird auch über einen möglichen Teilabriss des Gebäudes. Den fordert Wohnungsverwalter Ralf Legel: „Es gibt eigentlich keine andere Möglichkeit mehr.“ Da so viele Wohnungen leer stehen, käme nicht genug Geld herein, um die Wohnungen zu sanieren. „Und im jetzigen Zustand sind sie nicht zu vermieten“, sagt Legel. Der Verwalter klingt resigniert: „Ehrlich gesagt habe ich überhaupt keine Lust mehr.“ Er hofft, dass Stadt und Land einen Rückbau unterstützen. Doch Stadtsprecher Breßer-Barnebeck glaubt nicht an eine baldige Lösung per Abrissbirne: „Die Wohnungen haben zig verschiedene Einwohner, die können wir nicht alle rauskaufen.“