Bischof im Fegefeuer

Nächste Woche ist Heulen und Zähneknirschen bei der katholischen Kirche in Berlin. Das Sparkonzept wird veröffentlicht, gefolgt von Grausamkeiten

„Zusagen, dass niemand entlassen wird, können nicht eingehalten werden“

von PHILIPP GESSLER

Es schien zunächst nur eine Unhöflichkeit: Bei der offiziellen Verabschiedung seines langjährigen Pressesprechers Andreas Herzig im Erzbischöflichen Ordinariat an der Niederwallstraße, einer Sache von vielleicht zehn Minuten, blieb Kardinal Georg Sterzinsky am Montag dieser Woche auf seinem Stuhl sitzen: Die Hetze auf dem gerade beendeten Ökumenischen Kirchentag in der Stadt, so hieß es, habe ihn zu sehr geschwächt. Der Erzbischof von Berlin hat Diabetes und er erzählt nicht selten, dass es ihm nicht gut geht. Nichts Besonderes für einen 67-Jährigen. Aber steckte vielleicht mehr dahinter? War es ein Signal?

Es gibt kluge Leute in der katholischen Szene der Hauptstadt, die das vermuten: Der papsttreue Sterzinsky könnte das Handtuch werfen, besser: den Hirtenstab niederlegen, wenn er am Dienstag den wohl entscheidenden Tag seiner Amtszeit erleben wird. Vor der Presse wird er die Einzelheiten des Sanierungskonzepts der Unternehmungsberatung McKinsey vorlegen und erklären, wo genau gespart wird. Einen Rücktritt aus – offiziell – gesundheitlichen Gründen halten da manche nicht mehr für ausgeschlossen.

Dabei müsste er eigentlich aus anderen Gründen gehen. Das Erzbistum, das sich bis ins Vorpommersche erstreckt, steckt in der Schuldenfalle: Seit 1996 hat die Diözese bereits Kredite in Höhe von 104 Millionen Euro aufnehmen müssen. Und das bei Kirchensteuereinnahmen von rund 63 Millionen Euro im Jahr. Allein für Zinsen und Tilgung mussten jährlich 7 Millionen Euro aufgebracht werden. Hinzu kommt eine „strukturell bedingte Lücke von circa 6 Millionen Euro“, wie die Pressestelle des Erzbistums einräumte. Am Ende nahm es Kredite auf, um Gehälter bezahlen zu können. Insgesamt etwa 150 Millionen Euro Schulden hat das Erzbistum angehäuft. Wenn nichts passiere, kündigte die Pressestelle des Kardinals schon Ende Januar an, würden die Verbindlichkeiten in fünf Jahren auf 250 Millionen Euro steigen.

Deshalb sollen nun rund 440 von 2.700 Vollzeitstellen wegrationalisiert werden. Nur welche? Diese bange Frage stellen viele im Bistum – und wie üblich in solchen Krisen kümmern sich wichtige Gremien mit wichtigen Menschen um das Problem. „Treuhandausschuss“ und „Steuerungskreis“ heißen die Orte, wo die bahnbrechenden Entscheidungen für die Mitarbeiter der Diözese und die rund 380.000 Kirchenmitglieder fallen. „Der bankrotte Bischof“ (Süddeutsche Zeitung) ist, offensichtlich überfordert mit der Sanierungsaufgabe, dabei nur noch eine Figur am Rande.

Auch wenn so gut wie nichts aus den Spargremien dringt, ist klar: Es trifft jeden, direkt oder indirekt. Von den 3.800 Mitarbeitern des Erzbistums werden vor allem die einfachen Angestellten wie hauptamtliche Hausmeister, Organisten, Sekretärinnen, Putzfrauen und Küster den Hut nehmen müssen. In der Verwaltung der Diözese sollen rund 140 gehen – die Pfarrer bleiben ungeschoren.

Als Zeichen, dass es ans Eingemachte geht, wurde intern die Berufung des neuen Finanzdezernenten Hans-Jörg Niermann am 1. Mai gesehen. Die ersten Opfer des Sanierungskurses waren drei Redakteure der Kirchenzeitung. „Man denkt an Finanzen, nicht an Menschen“, meint einer von ihnen bitter.

Immerhin: Angesichts eines öffentlichen „mea culpa“ des Kardinals sprangen nach deutlichem Murren und einigem Zögern die bischöflichen Mitbrüder Deutschlands ihrem Pleite-Bischof bei. Obwohl die 26 deutschen Bistümer meist selbst klamm sind, sicherten sie Sterzinsky Mitte März einen Kredit von 50 Millionen Euro zu – sogar eine Weile zinslos. In einem Hirtenbrief räumte Sterzinsky zugleich ein, dass bei ihm „die Verantwortung für die entstandene Situation liegt“: „Ich gestehe, dass ich notwendige Entscheidungen nicht getroffen oder nicht durchgesetzt habe, die zu einer Verhinderung der Notlage hätten führen können“, ließ er von den Kanzeln seines Erzbistums verlesen.

Ob das reicht? Im „Treuhandausschuss“, der nun die Finanzen des Bistums überwachen soll, sitzt unter anderem der Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff. Der Bistumsmanager hat öffentlich kaum verhüllt gesagt, was er von Sterzinsky hält – nämlich wenig: Die Finanzkatastrophe wäre „nicht notwendig gewesen“, erklärte er, „Kardinal Sterzinsky hat gesagt, dass ihm seit zehn Jahren bewusst ist, dass seine Erzdiözese über die Verhältnisse gelebt hat“. Feldhoff arbeitet für Kardinal Joachim Meisner aus Köln, einem der reichsten Bistümer weltweit. Meisner, Vorgänger Sterzinskys in Berlin, könne nicht mit dem verschuldeten Oberhirten, heißt es im katholischen Berlin. Von dort ist Hilfe nicht zu erwarten, im Gegenteil.

Dabei ist klar, was zu machen ist. Feldhoff hat selbst den Abriss von Kirchen und den Verkauf dieser Liegenschaften nicht ausgeschlossen. Und: „Das Bistum hat doppelt so viele Mitarbeiter wie das etwa gleich große Bistum Hamburg.“ Ein professioneller Beobachter des Bistums urteilt: Wie damals in der Stadt Westberlin habe es auch im westlichen Teil der Diözese vor dem Mauerfall eine Überversorgung an Mitarbeitern gegeben. Nach der Wiedervereinigung aber habe der Kardinal, seit 1989 im Amt, diese üppige Versorgung auch für den hinzugekommenen Osten installiert. So sei eine Mentalität gewachsen, die es unmöglich erscheinen lasse, zur Kirche jenseits des Bahndamms zum Gottesdienst zu gehen.

Nach ersten Informationen sieht der Sanierungsplan nicht vor, die Katholische Akademie oder die Fachhochschule zu schließen – beides war aber erörtert wurden. Die FH soll jedoch im besten Fall an die Stadt verkauft werden, was möglich erscheint, da das Land Interesse an einer Ausbildungsinstitution für Sozialarbeiter und Pflegekräfte haben könnte. Der größte Batzen wird die Halbierung der Pfarreien sein. Der McKinsey-Bericht stellt angeblich zwei Mustergemeinden vor, bei denen die Fusion gut funktioniere. Am Freitag tagte der „Treuhandausschuss“, um weitere Beschlüsse zu fassen. McKinsey ermahnte die Mitglieder des „Steuerungskreises“ am Donnerstagabend, nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.

So wird am Dienstag die Liste der Grausamkeiten öffentlich gemacht. In seinem Hirtenbrief hatte der Kardinal angekündigt: „Wir werden auch die gegebene Zusage ‚Bei uns wird niemand in die Arbeitslosigkeit entlassen‘ nicht einhalten können.“ Der Hildesheimer Bischof Josef Homeyer, der den Treuhandausschuss leitet, hat während des Ökumenischen Kirchentags bereits Gespräche zur Sanierung geführt, so ist zu hören. Sterzinsky könnte durch die Installation eines Administrators wie Generalvikar Feldhoff de facto entmachtet werden. Die Runde machte sogar das unwahrscheinliche Gerücht, Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, könnte nach Berlin kommen.

Vorhersehbar aber ist, dass Sterzinsky an Macht verlieren und in Sachen Finanzen nicht mehr die entscheidende Stimme haben wird. Und wahrscheinlich ist er gar nicht unglücklich darüber.