Kampf um jede Kippe

Weniger rauchen mit der Methode Groll: Maßnahmen eines Steuerhinterziehers

Grundsätzlich darf überall geraucht werden – das gilt besonders für Besuch

Unser Gespräch beginnt nach einer ausführlichen Mahlzeit im Restaurant „Zum Tiefen Wasser“ in Stuttgart. Hans-Ulrich Groll, 43, Mediävist, öffnet ein silbernes Zigarettenetui und schnippt den Zeigefinger gegen den Deckel: eine einzige Filterlose löst sich, beschreibt einen dreifachen Salto und landet in Grolls linkem Mundwinkel. „Möchten Sie auch?“, fragt er, und schon – schnipp – klemmt eine filterlose Navy Cut zwischen meinen Lippen. Groll gibt Feuer.

„Die Schmidt ist schuld“, sagt er, lehnt sich zurück und stößt Rauch durch die Nase aus. „Einen Euro pro Packung! Gut, jetzt angeblich 70 Cent, aber schon, als die Diskussion um die Tabaksteuererhöhung losging, war für mich klar: Das mache ich nicht mit. Ich finanziere schließlich schon den Antiterrorkampf! Und jetzt soll ich auch noch für die Gesundheitsministerin rauchen? Nee, hier ist Schluss. Da habe ich mir gesagt, jetzt reduzierst du deinen Zigarettenkonsum und wirst zum Steuerhinterzieher.“

Ohnehin rauche er ja schon seit geraumer Zeit weniger als früher. „Ich bin bei zwei Schachteln pro Tag geblieben, obwohl da immer weniger Zigaretten drin waren. Wissen Sie noch, wie sich früher eine ganze Schachtel anfühlte?“ Doch, ja. Wie eine richtige Schachtel eben. „Genau. Und jetzt – zehn ist die Obergrenze – liege ich im Durchschnitt bei sechs Zigaretten pro Tag. Ohne Mühe“, fügt Groll auf meinen fragenden Blick hinzu und legt seine Zigarette im Aschenbecher ab. Er könne die jetzt auch einfach vor sich hinqualmen lassen, aber das „wäre ja Verschwendung“, meint er und nimmt einen tiefen Zug. War es schwer, weniger zu rauchen?

„Überhaupt nicht. Es begann damit, dass meine Frau mir ein Buch schenkte …“ – „Das berühmte Nichtraucherbuch von Alan Carr?“, unterbreche ich. „Ja. Ein Riesenblödsinn, ich habe es sofort weggeworfen. Es war nur für eines gut, für die Entwicklung meiner eigenen Methode.“

Groll drückt die Zigarette aus und weiht mich in sein Programm ein, das mit einer entscheidenden Maßnahme begann: später rauchen. Eine Woche lang zögerte Groll den Griff zur ersten Zigarette des Tages viertelstundenweise hinaus – begann er am Montag noch um neun Uhr zu paffen, produzierte er am Dienstag ab Viertel nach neun Rauchschwaden und schließlich am Sonntag erst ab halb zwölf. Auf die erste Verzögerungswoche folgte eine zweite, Beginn 9.15 Uhr, dann eine dritte, Beginn 9.30 Uhr– Groll verschob die Startzeit so lange nach hinten, bis sie an einem Montag auf halb zwölf lag. Anschließend war es ihm auch an allen anderen Tagen gestattet, ab halb zwölf zu rauchen. Die Methode Groll sieht ausdrücklich Belohnungen vor.

Im nächsten Schritt schuf Groll spezielle Nichtraucherzonen. In seinem Büro raucht er nicht hinter, wohl aber vor seinem Schreibtisch, allerdings im Schneidersitz, und zuvor muss das Telefon geklingelt haben.

Zu Hause geht es ähnlich zu, wobei Groll aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nichts davon hält, in den drei kälteren Jahreszeiten mit einer Zigarette auf den Balkon zu gehen. Grundsätzlich darf überall geraucht werden – das gilt besonders für Besuch –, nur hat sich Groll Beschränkungen auferlegt: Wenn der Fernseher im Wohnzimmer läuft, sind Zigaretten tabu, in der Küche darf es zu exakt einer Zigarette kommen, im Schlafzimmer raucht er nur in Begleitung. Ausnahmen macht er bei Fußballübertragungen und bei der langwierigen Zubereitung von Speisen, die der Beobachtung bedürfen.

Hat ein Gast seinen Schirm im Flur vergessen, inhaliert Groll tagelang im Stehen – bis der Schirm wieder abgeholt wird. Ausgenommen ist von diesem Fall das Schlafzimmer. Die Methode Groll verzichtet auf peinliche Momente.

Bereits die Faktoren Zeit und Raum, erläutert Groll, hätten seinen Zigarettenkonsum deutlich verringert. Entzugserscheinungen traten nicht auf. Schwer fiel ihm anfangs nur, die Regeln seines Systems zu verinnerlichen. „In der zweiten Woche rauchte ich versehentlich an einem Abend nur neben dem Schirmständer.“ Inzwischen hat sich Groll mit seinen Rauchregeln perfekt arrangiert – so sehr, dass am Ende eines Tages oft noch Zigaretten übrig bleiben. Die darf er dann aufbewahren und später einsetzen. „Aaah“, freut er sich, „für heute abend habe ich noch zwanzig Stück!“ Dabei werde er die „mit Sicherheit nicht alle wegquarzen“, er freue sich aber schon darauf, „die siebte Kippe des Tages“ zu entzünden. Wenn man bei sechs Zigaretten pro Tag angelangt ist, wäre es dann nicht an der Zeit, ganz aufzuhören? Groll lässt das Etui aufspringen. Schnapp und schnipp, wir rauchen. Er blickt mich ernst an. „Niemals“, sagt er, „das kommt gar nicht in Frage. Wer möchte schon zu den ekelhaften Nichtrauchern gehören?“

CAROLA RÖNNEBURG