Das System macht sich selbst

Am Ende ist die bürgerliche Kostümierung in Fetzen: Eine Bühnenadaptation in den Sophiensælen bricht geschickt Alfred Döblins Roman „Pardon wird nicht gegeben“

„Die Krise soll ein Fehler in unserm Wirtschaftssystem sein“, notiert Alfred Döblin in seinem Roman „Pardon wird nicht gegeben“, und weist das schon im nächsten Atemzug zurück: „Haben wir dies System gemacht? Weiß einer ein fehlerloses System? Man soll uns in Ruhe lassen mit Utopien.“ Deutschland habe die jüngste Krise der Weltwirtschaft gut verkraftet, sagt Gerhard Schröder in einer Regierungserklärung im Juli 2002, und beschwört im nächsten Atemzug die Chancen zur Veränderung, die allen Fehlentwicklungen innewohnen. In den Sophiensælen hatte eine Bühnenadaptation von Döblins Roman Premiere. Die Regierungserklärung des Kanzlers ist in Auszügen im Programmheft abgedruckt – die aktuellen Bezüge sind hergestellt. Die wirtschaftliche Krise als Teil des Systems einerseits und das innovative Potenzial von Krisen andererseits – ob Alfred Döblin und Gerhard Schröder hier allerdings in die gleiche Richtung denken, das lässt die Inszenierung in den Sophiensælen leider zu offen.

Der Roman „Pardon wird nicht gegeben“ ist 1934 in Döblins Pariser Exil entstanden. Mit der Geschichte des Bauernjungen Karl erzählt er exemplarisch von den ersten drei Jahrzehnten des Jahrhunderts: Karl kommt zusammen mit seiner verarmten Familie in die Stadt und findet dort über seinen Freund Paul Zugang zu revolutionären Kreisen, fasst dann jedoch auf Betreiben seiner Mutter im bürgerlichen Leben Fuß und macht Karriere als Möbelfabrikant, bis eine große Wirtschaftskrise seine Existenz wieder zerstört. Am Ende trifft er Paul wieder, der an der Seite des Proletariats kämpft und der seinen Rechtfertigungsversuchen nur noch mit dem lakonischen „Pardon wird nicht gegeben“ begegnet.

Die Bühnenversion bricht die Chronologie dieses Romans geschickt auf: Das Stück beginnt mit dem Ende, mit der Begegnung von Karl mit seiner revolutionären Vergangenheit in Gestalt von Paul; danach erst wird die Vorgeschichte ins Bild gesetzt, indem auf unterschiedlichen Zeitebenen parallel die Stationen von Karls Karriere erzählt werden – die Veränderung hin zur Prosperität ist währenddessen stets am Äußeren der Figuren abzulesen: Die abgehärmte Mutter beginnt sich zu schminken, Karl selbst knöpft sein Hemd immer weiter zu. Das Stück endet mit der Anfangsszene: Karls bürgerliche Kostümierung ist in Fetzen.

Aus der Romanfassung bleiben auf der Bühne einzelne Erzählsequenzen in der dritten Person bestehen – etwa wenn Paul Karls Hochzeit mit der mondänen Julie mit den Worten des Erzählers als das „Musterbeispiel einer Ehe“ zu Protokoll gibt: „Sie verhielten sich so, als ob sie einander liebten und hatten keinen Wunsch, sich kennen zu lernen.“ Diese Brechungen, seien es nun die chronologischen oder die der Erzählsituation, machen das Stück interessant: Hier werden neue Perspektiven eröffnet.

Wann immer die Inszenierung von Ulf Otto allerdings explizit politisch sein will, ergeht sie sich in einer Symbolik, die allzu unscharf bleibt: Wenn sich etwa die zunehmende Radikalisierung in den Zeiten der Krise in einer Kreuzigungsszene Bahn bricht, dann gerät das weit weniger nuanciert als die Sequenzen, in denen das Stück auf Döblins Text vertraut und durch die Brechung des Romantextes in der Bühnenfassung einen doppelten Boden gewinnt. Dass es diesen aber gibt, und dass die Inszenierung ihn nicht zuletzt dank der Bühne von Dominic Huber mit ihren ineinander verschobenen Ebenen bewusst ausschreitet, das macht den Abend in den Sophiensælen spannender als es die Lektüre von Döblins Roman gewesen wäre. ANNE KRAUME

Morgen und am Mittwoch, 20 Uhr, Sophiensæle, Sophienstraße 18, Mitte