Videos sind Zeitmaschinen

Die ganze Vergangenheit in der Tasche haben: Die Ausstellung „Global Groove 2004“ in der Deutschen Guggenheim zeigt einen dreidimensionalen Remix einer dreißig Jahre alten Videocollage von Nam June Paik, dem „Vater der Videokunst“

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

So eine routinierte Pressekonferenz schreit natürlich geradezu danach, gestört zu werden. Gerade führt John Hanhardt vom New Yorker Guggenheim Museum in die Ausstellung „Global Groove 2004“ in der Berliner Filiale seiner Museumskette ein, da kommt vom Eingang her Gelärme. Die Köpfe fliegen herum – siehe da, der Künstler kommt.

Auch wenn Nam June Paik seit einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt, lässt er es sich nicht nehmen, die förmliche Atmosphäre mal ein bisschen aufzumischen. Muss ein alter Impuls aus Fluxuszeiten sein. Kaum ans Mikrofon gerollt, zitiert er erst einmal Kennedy, „Ich bin ein Berliner“, um dann in einer schwer verständlichen Mixtur aus Englisch, Deutsch und Koreanisch in seinen Erinnerungen an Deutschland zu schwelgen. Stockhausen habe er hier kennen gelernt und Beuys, Kaspar König und Luigi Nono, das waren noch Zeiten. Seine Rede akzentuiert er mit Schlägen auf das Pult.

Paik ist zum ersten Mal seit fast zehn Jahren wieder in Deutschland, wo er sich in den Sechzigerjahren vom Komponisten zum Fluxus- und schließlich zum Videokünstler entwickelte und wo er ab 1979 fünfzehn Jahre an der Düsseldorfer Kunstakademie unterrichtete. An der großen Retrospektive, die ihm sein Weggefährte Wulf Herzogenrath zum Siebzigsten an der Kunsthalle Bremen ausgerichtet hat, nahm er nur per Konferenzschaltung teil. Doch für die Ausstellung im Guggenheim ist er eigens aus New York eingeflogen.

Ohne dass man es richtig gemerkt hat, ist Paik vom Zeitgenossen zum Klassiker geworden. Der „Vater der Videokunst“ zeigte 1964 in einer Wuppertaler Galerie zum ersten Mal manipulierte Fernsehgeräte und kaufte 1965 in New York die erste auf dem Markt erhältliche Videokamera, um sie zur Kunstproduktion einzusetzten. Allerdings verfiel er in seinen Arbeiten nicht der sauertöpfischen Medienkritik, die Ende der Sechzigerjahre bei Künstlern wie Wolf Vostell en vogue war. Auch das hochtrabende Pathos eines Bill Viola, der vor zwei Jahren die Deutsche Guggenheim zum Andachtsschrein mit Videowandgemälden umwidmete, war bei Paik nie zu befürchten. Gerade seine frühen Bänder sind bis heute spontan und oft witzig geblieben.

Im Guggenheim ist eine neue Version seines wichtigsten Tapes zu sehen: „Global Groove“, eine Videocollage, die 1974 bei einem Bostoner Fernsehsender ihre Premiere hatte. Das Band kann man sich übrigens schon seit Jahren in der Videosammlung des Neuen Berliner Kunstvereins an der Chausseestraße ansehen. Aber für die Ausstellung wurde es nun museumskompatibel aufgearbeitet: Zusammen mit seinem Assistenten John Huffman hat Paik quasi einen „dreidimensionalen Remix“ des einstündigen Videofilms gemacht: auf drei hintereinander gestapelten Monitorwänden flackern die Bilder, nach dem Zufallsprinzip werden gelegentlich Ausschnitte aus drei anderen Fernsehproduktionen dazwischengeblendet. Alles ist mit dem Videosynthesizer, den Paik damals gerade mit entwickelt hatte, wild verzerrt. Etwas verloren steht die Installation „Candle“ von 1989 dazwischen, bei der das Bild einer live brennenden Kerze in kaleidoskopischer Brechung an die Wand geworfen wird.

Und während die Kerze in verschiedenen Farben von den Wänden flackert, springen auf den Monitoren Tänzer durch psychedelische Farbspiralen: japanische Trommlerinnen. Allen Ginsberg intoniert ein Mantra, während er sich langsam in seine gepixelten Bestandteile auflöst. John Cage ist einfach nur John Cage und erzählt Geschichten. Auch wenn „Global Groove“ aus den Siebzigern stammt, verkörpert es doch den Spirit der Swinging Sixties: Die Weltzivilisation schrumpft auf dem Farbmonitor zum globalen Dorf zusammen. Ein Pizzabäcker in New York ist nicht weit von einer afrikanischen Tanzgruppe entfernt, Richard Nixon zerfließt in einem Livemitschnitt des Living Theatre, und Marshall McLuhan wabert auch über den Bildschirm.

„Global Groove“ ist aber nicht nur ein irisierendes Mosaik der Sechzigerjahre, sondern auch ein Stück audiovisuelle Autobiografie von Nam June Paik: „Als Videokünstler hat man seine ganze Vergangenheit in der Tasche“, hat er in einem Interview gesagt. „Video ist eine Art Zeitmaschine. Man hat all diese Bänder, und man kann sich seine schöne Vergangenheit ansehen.“

Bis zum 9. Juli, Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13–15, Mitte. Katalog 26 €