50 JAHRE GESETZ ÜBER DIE VERBREITUNG JUGENDGEFÄHRDENDER SCHRIFTEN
: Machtlos gegen magische Kanäle

Eine Sorge feiert Geburtstag. Vor 50 Jahren wurde in der Bundesrepublik die Befürchtung in ein Gesetz gegossen, Kinder könnten Schaden nehmen, wenn sie mit Bildern nackter oder gewalttätiger Menschen konfrontiert werden. Entsprechend wurden bestimmte Medieninhalte durch das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ indiziert. Seitdem entscheidet eine staatliche Bundesprüfstelle darüber, welche Bildchen über dem Ladentisch verkauft werden dürfen und welche darunter. Am Anfang spähte die Sittenwächter vor allem nach nacktem Fleisch, später nach gewalttätigen Actionhelden.

Dabei ist der Zusammenhang von medialer Gewaltdarstellung und realer Gewaltausübung damals wie heute nicht belegt. Medien- und Kommunikationswissenschaftler haben in den 80er-Jahren zwar eine heftige Debatte darüber geführt. Am Ende stand aber die Erkenntnis: Wir wissen es nicht. Die Zahl der Studien, die den Zusammenhang behaupteten, ist gleich der Zahl gegenteiliger Analysen. Der Annahme, mediale Gewalt produziere reale Gewalt, war es nicht vergönnt, Gewissheit zu werden. Und weil sie auch nicht widerlegt werden konnte, schlummert sie als dumpfe Sorge im kollektiven Gedächtnis der Mediengesellschaft.

Von dort wird sie regelmäßig in den politischen Alltag geholt. Die Debatte über die frühen Texte der „Böhsen Onkelz“ war so eine Gelegenheit, der Amoklauf von Erfurt eine andere. Das Prinzip ist immer das gleiche. Die Sittenwächter behaupten ihre Unentbehrlichkeit, ihre Kritiker das Gegenteil. Man einigt sich auf einen Komprimiss. Als Folge von Erfurt wurde im April der Jugendschutz verschärft. Aber eine Expertenkommission aus Computerfreaks und Mitarbeitern der Bundesprüfstelle entschied, das Ballerspiel „Counterstrike“ nicht auf den Index zu setzen. Damit war der Fall erledigt. Die Pattsituation in der Kommunikationsforschung findet sich im politischen Alltag wieder.

Ein ganz anderes Bild ergibt sich, schaut man auf die praktische Wirkung der Sittenwacht. Vom Freund aus dem Ausland mitgebracht oder selbst aus dem Netz gezogen: Die magischen Kanäle der globalisierten Wirtschaft reduzieren die Probleme beim Beschaffen verbotener Spiele, verbotener Musik oder verbotener Filme auf den Download. Das war schon zu Zeiten in Polen gepresster Fascho-Skin-Vinylplatten nur unwesentlich anders.

Letztendlich hat die Indizierung durch die Bundesprüfstelle oft eine werbende Wirkung. Effektiver ist eine freiwillige Selbstkontrolle von Medienanbietern. Denn im Gegensatz zu einem Spruch der Bundesprüfstelle erschwert diese es zweifelhaften Angeboten, überhaupt wahrgenommen zu werden. MATTHIAS BRAUN