„Ich kann hier nicht weggehen“

„Die Schatten der Vergangenheit sind noch nicht bewältigt“

Interview FRANK KETTERER
und THILO KNOTT

taz: Herr Tiefensee, üben Sie schon wieder fleißig Cello?

Wolfgang Tiefensee: Ich spiele nach wie vor ganz selten Cello und nur zu meinem eigenen Vergnügen. Zuletzt eine Bach-Suite.

Wissen Sie schon, was Sie den Herren vom IOC in zwei Jahren vorspielen werden – sollte Leipzig zur Kür des Olympia-Ortes 2012 zugelassen werden?

Ich werde auf keinen Fall Cello spielen.

Warum nicht? War doch erfolgreich.

Es muss immer einen Überraschungseffekt geben. Und die Cello-Nummer von München ist nun mal verbraucht.

Rechnen Sie am Ende gar nicht damit, bei der Kandidatenauswahl eine Chance zu haben und dem IOC überhaupt vorspielen zu dürfen?

Wenn man antritt, will man gewinnen. Wie wir das IOC überzeugen, das werden wir im Laufe der nächsten zwei Jahre entwickeln. Aber es müssen wieder ganz authentische Mittel sein.

Sie reden immer von den nächsten zwei Jahren. Überzeugen müssen Sie schon im Sommer 2004, wenn es um die Zulassung als Candidate City geht. Dann geht es um Fakten.

In dieser ersten technischen Phase haben wir dem Exekutivkomitee des IOC nachzuweisen, dass wir über die entsprechende Infrastruktur, Sportstätten, Transportwege, Beherbergung und Sicherheit im Jahre 2012 verfügen werden. Und ich gehe davon aus, dass die Welt weiß: Wenn sich Deutschland mit seiner Gründlichkeit und seinem Organisationstalent etwas vornimmt, dann ist das auch machbar.

Nennen Sie doch mal drei technische Fakten, die das IOC schon überzeugen könnten.

Wir können überzeugen mit neuen Sportstätten wie Leipzig-Arena und Stadion, mit dem exzellenten Messegelände, Sportwasserflächen vor der Haustür und mit einer hervorragenden innerstädtischen und außerstädtischen Infrastruktur. Das geht beim Autobahnsystem los, über den Flughafen, über die Anbindung an das ICE-Netz. Da ist alles komplett vorhanden, was man braucht.

Paris oder New York wird das nicht gerade erzittern lassen.

Nein, genauso wenig, wie wir vor anderen zittern. Aber Leipzig verfügt im innerstädtischen Bereich über Kapazitäten, über freie Flächen. Die Stadt ist ja nicht voll gestopft und am Ende der Belastbarkeit.

Die Entscheidung für Leipzig wurde auch als Signal an die Stadt, ja an den Osten Deutschlands gewertet. Wäre es die große Ernüchterung, wenn Leipzig nicht mal Kandidat würde?

Die Entscheidung des NOK war keine politische. Dass Leipzig im Osten liegt, ist nun mal eine geografische Tatsache. Aber im Vorfeld ist immer wieder deutlich gemacht worden, dass das mit dem Ostbonus vorbei ist. Wir haben den auch nie strapaziert. Wir haben nie den Jammer-Ossi abgegeben und gesagt: Jetzt sind wir aber mal dran mit Olympischen Spielen nach München 1972. Die Botschaft ist vielmehr: Die Leipziger können Berge versetzen oder Mauern einreißen. Die Botschaft heißt: Aufbruch. Diese Stimmung braucht Deutschland!

Ihr Job als Oberbürgermeister von Leipzig ist es, den Daueroptimisten zu geben?

Politiker sind dann erledigt, wenn sie etwas vorgeben, was nicht gedeckt ist. Mein Credo ist Authentizität. Deshalb spiele ich den Optimismus auch nicht vor. Ich bin optimistisch. Mein Job ist es, im Innern die Konzeption voranzutreiben und sie nach außen so aufzustellen, so zu personifizieren, dass deutlich wird, was wir in Leipzig wollen. Im Übrigen haben wir bei alledem einen ganz gesunden Realitätssinn.

Wer regiert Leipzig in der Zeit, in der Sie Olympia nach Deutschland holen?

Wir haben in der Stadt ein hervorragendes Team. Olympia ist im Moment das Thema mit höchster Priorität. Aber andere Themen dürfen darüber nicht vernachlässigt werden.

Was war der letzte Stadtratsbeschluss?

Da ging es um einen Bebauungsplan im Bereich Volkmarsdorf, der heiß diskutiert wurde.

Solche Beschlüsse zu fassen ist spannender, als Bundesminister zu werden?

Das hat nichts mit spannender zu tun. Es gibt hier Aufgaben, die zu erledigen sind. Da können Sie nicht einfach weggehen und sagen: Das macht jetzt mal jemand anders.

Joschka Fischer hat gesagt: „Wenn Deutschland ruft, darf man nie Nein sagen.“ Sind Sie unpatriotisch?

Ich antworte augenzwinkernd: Wer genau ist Deutschland? Sehen Sie, jetzt ruft Deutschland Leipzig auf, für das ganze Land zu kämpfen. Das ist auch ein Ruf. Und den habe ich angenommen.

Herr Tiefensee, was zieht einen Ingenieur für industrielle Elektronik in die Politik?

Vielleicht die Tatsache, auch schon vor 1989 politisch tätig gewesen zu sein, auch wenn es sich dabei um eine ganz andere Art von Politik gehandelt hat.

Inwiefern?

Es ging da nicht um große Schlachten auf Parteitagen, sondern darum, sich in den wenigen Freiräumen, die wir damals hatten, als Demokrat zu schulen und mit seiner kleinen Kraft das durchzusetzen, was möglich war. Und dann erwächst aus dieser kleinen Kraft, aus diesen vielen kleinen Kräften der Herbst 89 – es explodiert etwas. Und es zieht den Anruf nach sich mit der Frage: Wolfgang, kannst du dir vorstellen, ins Rathaus zu gehen und einer der zehn neuen Köpfe zu sein, die das Gröbste verhindern und das Mögliche voranbringen? Da habe ich zugesagt. Das war die Weichenstellung.

Nächstes Jahr stehen Landtagswahlen in Sachsen an – da ruft Ihre Partei schon wieder.

Ja. Aber mein Platz ist Leipzig. Ich möchte 2005 wiedergewählt werden. Als Oberbürgermeister.

Das ist eine klare Absage an eine SPD-Spitzenkandidatur?

Mehr ist aus heutiger Sicht nicht zu sagen.

Sie wollen nicht Bundesminister werden, Sie wollen nicht Landesvater werden. Was halten Sie von Karriere?

Karriere ist für mich nicht das Erklimmen einer nächsten Sprosse. Karriere ist Horizonterweiterung, sich auf verschiedenen Feldern auszuprobieren – und vielleicht auch die nächste Stufe zu nehmen. Irgendwann einmal.

Also gut, wie wär’s mit dieser Karriereplanung: Sie holen die Olympischen Spiele nach Deutschland und werden gleich Bundeskanzler.

Warum fragen Sie nicht, ob ich Papst werden will? Außerdem finde ich Spekulationen auf diesem Niveau der hohen Bedeutung dieses Amtes unangemessen.

Sind Sie im Gegensatz zu Schröder zu wenig Machtmensch für das Kanzleramt.

Ich brauche Durchsetzungskraft und Macht – und ich habe Macht, voranzutreiben, was ein Stadtrat, eine Verwaltungsspitze in der Sache will. Das ist notwendig. Und in Leipzig sind noch viele Probleme zu lösen.

20 Prozent Arbeitslosigkeit.

Auch wenn sie in der Stadt Leipzig etwas niedriger liegt – ja, das ist bedrückend. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist dramatisch. Wir hatten 1996 etwa 2.800 arbeitslose Jugendliche und sind jetzt bei 5.300 angekommen. Menschen mit Potenzial, mit Zukunft, die nicht zum Zuge kommen. Da sind wir eingebunden in die katastrophale wirtschaftliche Lage. Auch der Immobilienleerstand ist ein Brennpunkt. Die Städte können das aber nicht mehr allein bewältigen.

Herr Tiefensee, wir prüfen jetzt mal Ihre Olympia-Tauglichkeit.

Nur zu.

Wer war der Begründer der Spiele der Neuzeit?

Ach, jetzt geht’s los. Pierre de Coubertin. 1896.

Okay, schwerer: Wie viele Goldmedaillen hat die Bundesrepublik 1980 in Moskau geholt?

Weiß ich nicht.

Kommen Sie, 1980, Moskau, BRD!

Ach ja, der Boykott.

Vielleicht kennen Sie sich mit dem Medaillenspiegel der DDR besser aus.

Wahrscheinlich nicht.

Kristin Otto, 1988, Seoul?

Müsste ich raten: Acht Goldmedaillen.

Sechs. Zwei zu wenig, um Olympia-Botschafterin von Leipzig zu werden?

Wir haben überhaupt keine Olympia-Botschafter. Aber ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen.

Bitte!

Doping ist ein ganz wichtiges Thema, wenn man über Leipzig spricht. Leipzig ist eine Stadt der DDR. Eine Stadt der Diktatur und auch des Missbrauchs von Sport und Sportlern. Da sind die Schatten der Vergangenheit noch lange nicht bewältigt. Und damit muss man auch in solch einer Olympia-Bewerbung umgehen.

Propagieren Sie doch: Leipzig, die ersten dopingfreien Spiele!

Jede Stadt wird das tun – ob Athen 2004 oder Peking 2008. Aber wir müssen den Nachweis erbringen, dass wir mit dieser Vergangenheit besonders offensiv umgehen können.

IOC-Präsident Jacques Rogge hat gesagt, er wolle die Spiele modernisieren – weg vom Gigantismus der Vergangenheit. Ist das Ihr größter Trumpf?

In der Tat zeigen wir ein Konzept, das nicht gigantisch, sondern maßvoll ist. Vielleicht ist das IOC 2005 tatsächlich schon so weit, unser Angebot wahrzunehmen.

Maßvolle Olympische Spiele – dann würde von Leipzig ja schon wieder eine Revolution ausgehen.

Keine Revolution, ein Wunder auf der Basis ganz solider Arbeit.