Schwan sieht „Risse im bürgerlichen Lager“

SPD-Kandidatin hofft weiter auf Überläufer von Union und FDP. Im taz-Interview übt sie scharfe Kritik am Kapitalismus

BERLIN taz ■ Die rot-grüne Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan (SPD) sieht die Mehrheit von Union und FDP bei der Wahl am 23. Mai bröckeln. „Die Risse im bürgerlichen Lager sind durchaus erkennbar“, sagte Schwan im Interview mit der taz. In der Union gebe es gewiss Politiker, die „den Schwächeren in der Gesellschaft eine Stimme geben“ wollten. Bei der Entscheidung gehe es nicht um „eine Koalition für 2006“, sondern „um ein überparteiliches Amt“.

Zugleich warnte Schwan davor, die Menschenwürde wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen. Es sei eine alte Einsicht, „dass die kapitalistische Logik die Werte der Demokratie unterminiert“. Die Perspektive einer Reformpolitik könne nicht sein, dass sich Deutschland „langfristig auf das Niveau der Dritten Welt“ zubewege. Um die Auslagerung von Produktion in die neuen EU-Staaten zu kompensieren, müssten die hiesigen Firmen neue Produkte entwickeln, „die es woanders nicht gibt“. Da sei „so etwas wie ein Patriotismus der Unternehmer“ gefragt.

Voraussetzung für erfolgreiche Politik sei ein Abbau des herrschenden Misstrauens. „Ohne Vertrauen werden wir auch den Reformprozess nicht bewältigen“, sagte Schwan. Die Deutschen könnten nicht richtig streiten, weil ihnen ein „tragender Grundkonsens“ über die demokratischen Werte fehle. Sie selbst wolle im Fall ihrer Wahl dazu beitragen, dass die Menschen „wieder mehr Wärme und Vertrauen gewinnen“. RAB

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