Unfreie Arztwahl

Hamburgs Krankenkassen wollen Praxisgebühr ab Herbst durch Hausarztmodell ersetzen. Kassenärzte warnen vor Schnellschuss

„Das Modell ist noch völluig unausgegoren. Niemand weiß, ob man damit nur einen einzigen Euro spart“

Von Marco Carini

Auch die Hamburger Krankenkassen wollen ihren Versicherten die Praxisgebühr zurückerstatten, wenn sie in Zukunft im Krankheitsfall freiwillig zuerst ihren Hausarzt aufsuchen. Techniker-Krankenkasse, Hanseatische Krankenkasse und die Securvita bestätigten gestern gegenüber der taz, dass sie spätestens zum Jahresende in das „Hausarztmodell“ einsteigen wollen. Die Ausgestaltung des Modells allerdings ist noch unklar, die Gespräche zwischen den Spitzenverbänden der Kassen und den Ärzteorganisationen laufen auf Hochtouren. Bereits am Mittwoch soll erneut verhandelt werden.

„Noch bis Ende des Monats wollen wir eine Rahmenvereinbarung mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung unter Dach und Fach haben“, erläutert die Sprecherin der Techniker-Krankenkasse, Dorothee Meusch, den Zeitplan. Erst danach könne über die konkrete Umsetzung verhandelt werden.

Zentrale Frage dabei sei, ob alle der knapp 1200 Hamburger Hausärzte an dem Modell teilnehmen können. Meusch: „Wir erwarten, dass die in Frage kommenden Ärzte sich regelmäßig weiterqualifizieren, um ihrer erweiterten Aufgabe, wie ein Lotse die Behandlung ihrer Patienten zu steuern, gerecht zu werden.“ Aufgrund zahlreicher noch offener Fragen erwartet Meusch, dass das Hausarztmodell nicht vor dem vierten Quartal dieses Jahres Praxis werden kann.“

Auch Securvita-Sprecher Norbert Schnorbach sieht bei der Umsetzung der Hausarztpläne „noch jede Menge bürokratischer Hürden“. Fragen der „Qualifizierung und der zusätzlichen Honorierung der Hausärzte“ seien noch zu klären. „Das steckt noch in den Anfängen, aber wir wollen das Modell möglichst ab dem Herbst anbieten“, gibt Schnorbach den Kurs vor.

Thorsten Brunkhorst, Sprecher der Hanseatischen Krankenkasse, geht gar von einem Einstieg in das Hausarztmodell „zur Mitte dieses Jahres“ aus: „Ein hehres Ziel, das wir aber erreichen können.“ Als zentralen Knackpunkt sieht er die Frage, „wie viele und welche Hausärzte an dem Modell teilnehmen“ werden.

Zum einen müssten die infragekommenden Mediziner auf ihre erweiterten Aufgaben vorbereitet sein, zum anderen wolle man aber möglichst alle Hausärzte mit ins Boot bekommen. Brunkhorst: „Wenn die Patienten erst im Internet recherchieren, ob ihr Arzt an dem Modell teilnimmt oder gar ihren angestammten Hausarzt wechseln müssen, wird dieses System keine Akzeptanz finden“, ahnt der Krankenkassen-Sprecher.

Deutliche Kritik an dem Vorstoß der Kassen kommt von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. Deren Vorstandsmitglied Klaus Otto Allmeling beklagt, „dass die Kassen, dieses Modell nicht im zeitlich und räumlich begrenzten Versuch erproben und wissenschaftlich auswerten, sondern aus Sparüberlegungen gleich flächendeckend einführen“. Allmeling: „Das Modell ist noch völlig unausgegoren, und niemand weiß, ob man damit nur einen einzigen Euro spart.“

So könnte die Selbstverpflichtung, zuerst den Hausarzt aufzusuchen statt gleich einen Fachmediziner anzusteuern, zu „einer Vielzahl teurer Doppeluntersuchungen“ führen. Erst wenn ein Hausarzt das Recht hätte „seinem Patienten eine Überweisung zum Facharzt zu verweigern“, erwartet Allmeling Einspareffekte. Dann aber würde „das hohe Gut der freien Arztwahl aufgegeben werden“. Auch würden durch die Einsparerwartungen der Kassen die Hausärzte „zu deren Sparkommissaren“ degradiert.

Ärztevereinigungs-Sprecher Allmeling kritisiert zudem, dass aus seiner Sicht „die Verknüpfung von Praxisgebühr und Hausarztmodell widersinnig“ ist. Sein Fazit lautet denn auch: „Die Krankenkassen malen sich schöne Bilder über das Modell, doch die Ungereimtheiten werden im Zweifelsfall wieder einmal auf dem Rücken der Patienten ausgetragen.“

weiterer bericht SEITE 6