ein halbes loblied auf den landgasthof von JOACHIM SCHULZ
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Heute werde ich Ihnen ein halbes Loblied vorsingen. Natürlich denken Sie jetzt: „Halbes Loblied? Was soll denn das sein, zum Kuckuck?!“ Aber gemach! Warten Sie’s ab und Sie werden’s begreifen.

Der Gegenstand meiner Nullkommafünf-Eloge ist: Der Landgasthof. Stellen Sie sich also einen Frühlings-Sonntag vor, zu dessen klimatischer Komposition der brave Petrus ausschließlich Bausteine aus der Verwöhnschublade verwendet hat. Sie befinden sich mit ein paar Freunden auf einer Fahrradtour, sausen fröhlich pfeifend durch die Landschaft und stoßen genau zum richtigen Zeitpunkt auf eine malerisch gelegene Gastwirtschaft – zu einem Zeitpunkt nämlich, da Ihre Kehle mit einem kühlen Radler gespült zu werden begehrt und Ihr Magen rumpelnderweise nach einem kräftigenden Schnitzel mit ordentlich Pommes ohne Salatbeilage verlangt.

Mithin setzen Sie sich an einen Tisch im Halbschatten einer Kastanie, genießen den Blick über das vor Ihnen liegende Tal und nehmen begeistert zur Kenntnis, dass Sie und Ihre Freunde von der gut gelaunten Wirtin in Minutenschnelle mit wohlgefüllten Radlerkübeln versorgt werden.

Kaum aber hat sie Ihnen auch die Riesenschnitzel gebracht, ist die 50-Prozent-Marke erreicht, und das bedeutet leider, dass fortan kein Wort des Lobes über den Landgasthof mehr verloren werden kann. Im selben Augenblick nämlich trifft eine zweite Radlertruppe ein, die allerdings anders als Ihre kleine Schar durchaus Kegelclubgröße besitzt und nicht das geringste Interesse daran hat, die Stille dieses Ortes zu genießen. Stattdessen rücken die Neuankömmlinge unter gewaltigem Getöse Tische zusammen, intonieren Evergreens wie „Von den blauen Bergen kommen wir“ und nutzen die Sangespausen dazu, sich schlüpfrige Witze zu erzählen und mit kleinen Feigenlikörfläschchen auf der Tischkante herumzuklopfen.

Insofern verzichten Sie auf den Rest Ihrer Mahlzeit und treten panisch die Flucht an. Ist aber ein Landgasthof erst einmal zur Vorhölle geworden, gehört er nicht mehr zu den Orten, die man mir nichts, dir nichts verlassen kann. Als Sie nämlich vor Ihrem Fahrrad stehen, müssen Sie feststellen, dass irgendein Mitglied der sangesfreudigen Ausflugstruppe sich nicht entblödet hat, sein Gefährt an das Ihre zu ketten, und selbstverständlich nützt es überhaupt nichts, schnurstracks in den Biergarten zurückzukehren und die sofortige Befreiung Ihres Drahtesels zu verlangen. Stattdessen werden Sie dazu eingeladen, ein paar Lieder mitzusingen und ein Likörchen zu trinken, und so vergeht fast eine Stunde, bis der dusselige Übeltäter sich dazu herablässt, sein Schloss aufzusperren.

Auch damit jedoch ist noch nichts gewonnen, denn erstens sind Ihre falschen Freunde schon mal losgeradelt und zweitens bohrt sich noch in der Gastwirtschaftseinfahrt ein Nagel in Ihren Vorderreifen. So müssen Sie sich – weil ohne Flickzeug unterwegs – per pedes auf den Heimweg machen, und wenn dann eine halbe Stunde später auch noch ein Gewitter losbricht, dann werden Sie endlich verstehen, warum ich auf dieses janusgesichtige Ding namens Landgasthof nur ein halbes Loblied zu schreiben vermag.