Ruhige Rambos an vorderster Front

Kurz nach Ankunft französischer Soldaten im kongolesischen Bunia greifen Lendu-Milizen an. Die Franzosen reagieren nicht. Die Bevölkerung wundert sich. Zugleich bringt die ausländische Intervention weitere Kriegsfronten im Kongo in Bewegung

von ILONA EVELEENS
(Bunia)und DOMINIC JOHNSON

An der Straße zum Flughafen von Bunia stehen zwei Dutzend französische Soldaten mit Waffen im Anschlag. Auf den Nasen tragen sie futuristische Sonnenbrillen, in Taschen am Oberschenkel stecken Pistolen und Handgranaten. Sie bewachen die Umgebung, während der Reifen eines ihres Fahrzeuges gewechselt wird.

Die europäische Truppenmacht in Bunia ist vorläufig nicht mehr als eine Rambo-Show. Die Bevölkerung ist beeindruckt, auch über die Mirage-Flugzeuge, die die Stadt überfliegen, während sie Transportmaschinen begleiten. „Aber warum haben sie nicht eingegriffen, als die Lendu-Milizen angriffen?“, wundert sich der Fahrer eines Mopedtaxis, der beim Reifenwechsel zuschaut. „Die Truppen sind doch hier, um die Bevölkerung zu schützen?“

Am Samstagfrüh, 24 Stunden nach der Landung der ersten europäischen Soldaten, versuchten ungefähr 600 Lendu-Kämpfer die in Bunia herrschende Hema-Gruppierung UPC (Union kongolesischer Patrioten) zu vertreiben. Die Lendu, bewaffnet mit Macheten und Maschinengewehren, zwangen die Hema-Milizen zu einem kurzen Rückzug. Kämpfe wüteten vor allem im Zentrum von Bunia, wo ausländische Journalisten im UN-Hauptquartier Schutz suchten. „Wir haben bloß eine Handvoll von Verletzten bekommen“, wunderte sich später ein Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“ im Krankenhaus am Flughafen. „Das ist ein Wunder, weil die Kämpfe sehr heftig waren.“

Die UPC ist jetzt wütend. „Die europäischen Truppen verhinderten nicht, dass die Lendu versuchten, die Stadt zu übernehmen“, schimpft Jean de Dieu Tinazabo, Nummer zwei der UPC. „Wir wollen mit den Ausländern zusammenarbeiten, aber wenn sie das nicht wollen, sind sie verantwortlich für das Abschlachten der Bevölkerung.“

Die europäische Truppe ist nach eigener Ansicht mit momentan nur 200 Mann noch zu klein, um die Kriegsparteien zu trennen. Ein Oberst, der seinen Namen für ein Militärgeheimnis hält, sagt, seine Aufgabe sei der Schutz des Flughafens für die Ankunft der anderen 1.200 Soldaten. „Aber am Sonntag haben wir schon eine kleine Patrouille gemacht“, sagt er.

Dann meldet der Franzose, es gebe Informationen über mehr geplante Angriffe von Lendu-Milizen auf Bunia. Angenommen wird, dass die Milizen bessere Ausgangspositionen beziehen wollen, bevor die vollständige Eingreiftruppe ankommt. Derzeit kontrolliert die Hema-Gruppe UPC die Hauptstadt von Ituri, während die in der FRPI (Widerstandskräfte für Frieden in Ituri) zusammengeschlossenen Lendu einige Kilometer außerhalb der Stadt sitzen.

Die Lendu-Gruppen agierten offenbar nicht allein. Vor ihrer Offensive waren ihre Führer in Beni zu Beratungen zusammengekommen, Hauptstadt der RCD-ML (Kongolesische Sammlung für Demokratie/Befreiungsbewegung), die von Kongos Regierung unter Präsident Joseph Kabila unterstützt wird. Berichten aus der Region zufolge stehen Einheiten von Kabilas Armee in ländlichen Gebieten im Süden von Ituri. Bei Kämpfen gegen die von Uganda unterstützte kleinere Hema-Bewegung PUSIC (Partei für die Einheit und die Rettung der Integrität des Kongo) am Ufer des Albertsees sollen allein am vergangenen Freitag 366 Menschen getötet worden sein, darunter 42 kongolesische Regierungssoldaten.

Die RCD-ML verurteilte die neuen Kämpfe in Bunia, stellte sich aber zugleich gegen ein eventuelles Eingreifen der Franzosen. „Die internationale Truppe sollte sich nicht ablenken lassen“, sagte RCD-ML-Vizegeneralsekretär Ernest Kyaviro in Beni. Die Gruppe erklärte weiter, sie werde im Süden ihres eigenen Gebiets von Ruanda und der proruandischen Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) angegriffen. Es gebe „massive und gleichzeitige Offensiven“ der RCD, so die RCD-ML und meinte: „Ruanda will von Bunia bis zu den Kivu-Provinzen ein Somaliland schaffen, das der Kontrolle der Regierung der Demokratischen Republik Kongo entgeht.“

Die RCD bestätigte am Wochenende, sie sei gegen die RCD-ML auf dem Vormarsch. An der Grenze zwischen den beiden Gruppen, die die ostkongolesische Provinz Nord-Kivu in zwei etwa gleich große Hälften teilt, sammeln sich seit mehreren Jahren mehrere hunderttausend Kriegsvertriebene. Nach Berichten der Deutschen Welthungerhilfe, die als einzige internationale Hilfsorganisation diese Vertriebenen kontinierlich versorgt, ist seit Beginn der neuesten Kämpfe am Sonntag die gesamte Bevölkerung dieser Region „zwischen den Fronten blockiert“, und über 50.000 Menschen seien auf der Flucht.

Da die RCD von Ruanda unterstützt wird und die RCD-ML von Kongos Regierung, ist Krieg zwischen den beiden Gruppen ein Stellvertreterkrieg zwischen den beiden wichtigsten Kriegsparteien des Kongo. Dabei geht es nicht nur um die Kontrolle Ostkongos, sondern auch um die Machtaufteilung in Kongos zukünftiger Allparteienregierung, auf die sich Regierung und Rebellen im Prinzip letztes Jahr geeinigt hatten. Da zugleich Ituris Hema von der RCD unterstützt werden und die Lendu von der RCD-ML, wirkt sich dieser Machtkampf direkt auf die Situation in Bunia aus.

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