Kindliche Reaktion

betr.: „Larsson lesen und lassen“, taz zwei vom 27. 12. 08

Wenn man bei Peter Unfried jemals irgendeine Form von Raffinesse bemerkt hätte, müsste man bei dieser Kritik über die Krimis von Larsson jetzt schwer ins Grübeln geraten: Was will der Meister Unfried uns bloß sagen? Da er aber frei davon ist, können wir aufatmen und uns eingestehen, dass leider wieder einmal eine grottenschlechte Buch- (manchmal auch Film-)Kritik in der taz abgedruckt wurde.

Es ist ja schon ein kleines Wagnis, aber vielleicht auch das Mitreiten auf der Arroganz gegenüber dem, was die alte klassische BRD-Kritik gegenüber der „U-Kultur“ sich leistet: frischfrommfröhlichfrei von der Fasziniertheit durch einen Autor (hier Larsson) zu plaudern, dann ehrfürchtig einen hochmögenden „Wuppertaler Mediävistikprofessor“ zu zitieren, der interessanterweise „Hoch- und Populärkultur“ bei Günther Jauch „versöhnt“ habe und der Larsson und die skandinavischen Krimis nicht leiden kann, und dann festzustellen, dass man selber, Unfried, ja eigentlich sich auch schon bei Band zwei gelangweilt, es aber nicht rechtzeitig gemerkt habe. Dann hat er doch tatsächlich noch die Idee, uns nun von seiner weiteren „kritischen Lektüre“ zu berichten. Hätte er doch geschwiegen.

Die Identifikation des Lesers mit den fiktiven Figuren einer Erzählung, die Wut auf sie und die (fiktive! Herr Unfried!) Welt, die dort entsteht, ist als kindliche Reaktion sehr ehrenhaft, ein abgedruckter Kritiker sollte aber noch einen oder zwei Schritte darüber hinaus sehen. Die darauf folgende Realitätsüberprüfung, als der „kritische Blick“ untergejubelt, der angekündigt wurde, wobei das im Roman eher nebensächliche Liebesleben der Figuren an die erste Stelle von Unfrieds Wahrnehmung gerückt ist und weiter bemerkt wird, dass die Leute, besonders die beschriebenen Figuren der wirtschaftlichen und politischen Elite, ja sooo böse in Wirklichkeit gar nicht sein können – das ist alles sehr onkelhaft und unprofessionell. Und der üble Denunziationsversuch, nämlich der Schluss, dass Larsson der „realen Welt“, was immer das sei, eine „schöne Welt“ entgegengesetzt habe, „ein wenig wie früher in den Staaten üblich, die Literatur zur ideologischen Erbauung ihrer Eingeschlossenen veranstaltete“ – hier zeigt der gute Kritiker, dass er sich eindeutig verhoben hat.

Vielleicht sollte er sich eingestehen, dass Kriminalromane nicht deswegen schlecht sein müssen, weil sie unbedingt zu einer niederen Kultursorte gehören müssen und man sie höchstens dann anfassen darf, wenn man gerade mal nichts Besseres zu tun hat, bei all den hehren Wichtigkeiten, mit denen man sich tagsüber abgibt – da er ja Autoritäten braucht, könnte er kurz zu Brecht, dem für uns Naheliegendsten, greifen, und dass die Zeiten, in denen wir uns mit glühenden Bäckchen mit oder gegen Räuber Hotzenplotz identifizierten, vorüber sind. Stattdessen könnte er davon ausgehen, dass ein Stück Literatur seine eigene Welt schafft, in dieser Welt mit seinesgleichen kommuniziert und es uns gestattet, hieran teilzunehmen. Dann könnte er wieder zu seiner anfangs beschriebenen Freude am Lesen zurückfinden und der kritische Blick auf die Realität, was immer das sei, kann sich auf die Realität selber richten.

REINER HANKE, Freiburg