Ein klares Ja zur Europäischen Union

Die Polen entscheiden sich beim Referendum vom vergangenen Wochenende mit deutlicher Mehrheit für den Beitritt zur EU. Regierungschef Leszek Miller kündigt Vertrauensabstimmung und vorgezogene Neuwahlen für das Frühjahr 2005 an

aus Warschau GABRIELE LESSER

Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski wirbelt die Europaministerin Danuta Hübner durch den Saal, küsst seine Frau Jolanta, umarmt Freunde und politische Gegner: „Ich bin gerührt“, bebt seine Stimme, als er das vorläufige Ergebnis der EU-Volksabstimmung hört: „75 Prozent der Polen sind für den EU-Beitritt Polen. Das Referendum ist gültig. Über 57 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben.“

Kwaśniewski wirft die Arme in die Höhe. Er kann sich vor Freude kaum fassen. „Wir sind in der EU. Die Polen haben Ja gesagt.“ Über tausend Gäste jubeln mit und umarmen sich. In den vergangenen Wochen und Monaten hatten sie viel Kraft ins Referendum gesteckt. Sie tourten mit dem Präsidenten durchs Land, organisierten Happenings, verteilten EU-Luftballons und redeten sich den Mund fusselig: „Stimmt mit Ja zur Europäischen Union. Das ist unsere Chance. Die Zukunft unserer Kinder.“

Bis zuletzt sah es so aus, als könnte das Referendum doch noch scheitern. Am Samstag hatten nur 17,8 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben. Regelrecht in Panik gerieten die EU-Befürworter in Polen aber erst, als sich am Sonntag gegen 14 Uhr noch immer keine markante Steigerung abzeichnete. Normalerweise geben die Polen ihre Stimme nach dem Kirchgang ab. Doch diesmal: Fehlanzeige. Nach dem Gottesdienst gingen die Polen einkaufen oder spazieren. Die Wahllokale blieben leer. Als ab 16 Uhr die Moderatoren in Radio und Fernsehen immer verzweifelter auf die letzten Stunden hinwiesen, die noch zum Wählen blieben, schien klar: „Das Referendum geht wohl schief.“ Kurz nach 20 Uhr entlud sich die Spannung in einem regelrechten Freudengeheul. „Wir sind in der Union. Hurraaa! Wir haben’s geschafft!“ In vielen Städten tanzten die Polen auf den Straßen, umarmten fremde Menschen, stießen mit Sekt an. Auch Polens Regierungschef Leszek Miller feierte. Allerdings war die Stimmung in seiner Kanzlei nicht ganz so gut wie beim Präsidenten. Außer Miller wussten auch einige Minister bereits, dass ihnen am nächsten Tag ein „sehr ernstes Gespräch“ mit dem Präsidenten bevorstand.

„So kann man nicht regieren“, hatte Kwaśnieswski erklärt. „Wir treten in eine neue, sehr schwierige Phase ein. Uns bleiben nur elf Monate, um Polen fit für die EU zu machen. Dazu brauchen wir eine funktionierende Regierung“. Gestern kündigte Miller an, sich im Parlament so schnell wie möglich einer Vertrauensabstimmung stellen zu wollen. Zudem sprach er sich dafür aus, die Wahlen auf das Frühjahr 2005 vorzuziehen. Dieser Schritt war überfällig. Denn die Wähler haben das Vertrauen verloren in die von Korruptionsskandalen heimgesuchte Minderheits-Regierung aus dem Bündnis der demokratischen Linken (SLD) und der Union der Arbeit (UP).

Richtig lange Gesichter gab es nur bei den „Radio Maria“-Anhängern, der nationalkatholischen „Liga der polnischen Familien“ und dem radikalen Bauernführer Andrzej Lepper von der „Samoobrona“ (Selbstverteidigung): „Ihr werdet sehen, was ihr davon habt“, grollte Lepper nach dem Ja der Polen zu Europa.