Beiboot der „Titanic“

Schweden wird am 14. September über den Euro abstimmen. Düstere Prognosen über den „kranken Mann der Weltwirtschaft“

STOCKHOLM taz ■ Ursprünglich wollte Schweden gemeinsam mit Großbritannien der Euro-Zone beitreten. Jetzt muss Göran Persson mit der auf den 14. September angesetzten Volksabstimmung den Alleingang versuchen. Rechte britische und linke schwedische Nein-Opposition treffen sich in einer Überzeugung: Eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion würden zwangsläufig zu einem Prozess ständig wachsender Nivellierung von Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik und damit der Grundlagen des Sozialstaats führen. Für beide logischerweise Grund zur Unruhe. Da Schweden nach wie vor den höchsten Steuersatz und das relativ umfassendste Sozialsystem in der EU hat, während Großbritannien weit außen auf der anderen Seite der entsprechenden Skala steht, käme auf diese beiden Länder der größte Veränderungsdruck zu.

Londons Nein dazu, sich diesem Veränderungsdruck jetzt aussetzen zu wollen oder zu können, gießt natürlich der schwedischen Nein-Seite Wasser auf die Mühlen. „Wollen wir uns dem kranken Mann in der Weltwirtschaft anschließen?“, fragte der schwedische Botschafter bei der OECD und führende Sozialdemokrat Anders Ferm am Wochenende in der Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter. Und er vergleicht einen Euro-Anschluss zum jetzigen Zeitpunkt damit, sein Boot an der „Titanic“ festzuzurren. Wobei im Zentrum seiner Argumentation die Auswirkungen des Euro auf Deutschland stehen. Die deflationistische Politik, die Berlin durch den Stabilitätspakt und die EZB „nahezu sadistisch aufgezwungen“ werde, habe „unbehagliche Parallelen mit der Politik, die Reichskanzler Brüning ab 1930 durchführte“. Ferm prognostiziert, dass Deutschland gezwungen sein könnte, die Eurozone zumindest zeitweise zu verlassen, um seine Währung abzuwerten. Die jetzige Euro-Währungspolitik lasse einem Land mit zu hohem Kostenniveau oder Zahlungsbilanzdefiziten nur den Ausweg, den Arbeitsmarkt zu „reformieren“, und zwar durch höhere Arbeitslosigkeit, gesenkte Löhne, verschlechterte soziale Sicherheit. Gewerkschaften und Sozialdemokratie müssten den politischen Preis dafür zahlen. Deshalb sei auch nicht weiter verwunderlich, dass die Interessenvertretungen der Wirtschaft so begeistert vom Euro seien.

Möglicherweise ist Göran Persson am Abend des 14. September nicht weiter als Tony Blair. Weder ökonomisch noch politisch hat er drei Monate vor dem Votum der Bevölkerung derzeit gute Karten in Schweden, der Euro. Am Pfingstwochenende veröffentlichte Meinungsumfragen zeigen eine stabile Nein-Mehrheit zwischen 46 bis 50 Prozent zu 36 bis 38 Ja-Prozenten. REINHARD WOLFF