Was will man sonst tun

Vorm Amtsgericht wurde ein alkoholkranker Entführer gestern mit Gnade behandelt – auch weil er schon eine Weile nicht mehr trinkt

Bremen taz ■ Immer wenn Hans Dieter A. säuft, verliert er die Kontrolle. Und weil der 43-jährige Bremer schon lange säuft und lange Zeit zunehmend mehr soff, stand er in den vergangenen Jahren regelmäßig vorm Richter. Gestern war sein vorläufig letzter Prozesstermin – wegen einer ganzen Liste von Vorwürfen wie Geiselnahme, Nötigung, Störung der öffentlichen Sicherheit und sexueller Belästigung. Doch zum ersten Mal konnte der Angeklagte belegen, dass er seit rund sechs Monaten nicht mehr trinkt. Dafür zeigte der Richter am Bremer Amtsgericht gestern Gnade – und setzte die Gesamtstrafe von einem Jahr und drei Monaten zur Bewährung aus. Ebenso wie den Aufenthalt des Mannes in der Klinik.

„Wenn Sie nicht auf die Ärzte hören und wieder trinken, die Klinik verlassen oder wieder auffallen, dann stellen Sie alles aufs Spiel“, mahnte Richter Bernward Garthaus den Angeklagten eindringlich. Der große Mann mit dem blassen Gesicht verzog keine Miene und nickte. Es hätte viel schlimmer kommen können.

Schlimm war für sein letztes Opfer die Begegnung mit dem Straftäter. Der damals 13-jährige Junge war mit dem einst mit der Familie befreundeten Mann ahnungslos mitgegangen – und dann stundenlang in dessen Gewalt gehalten worden. Vor Gericht schilderte der heute 15-Jährige, dass er die Drohungen des Mannes ernst genommen und tatsächlich Angst gehabt habe, dieser werde ihm das Genick brechen. Auch habe er sich um seine Tante gesorgt. Diese und deren Sohn hatte der Angeklagte telefonisch beschimpft und bedroht. Da der Betrunkene zugleich die Polizei angerufen hatte, war es zu einem Großeinsatz gekommen – aus eigentlich nichtigem Grund. „Stimmt es, dass Sie dadurch eine Musikanlage zurück holen wollten?“, ließ sich der Richter den Anlass für die Tat bestätigen – die mit der Freilassung des Jungen unblutig endete. Doch der Angeklagte erinnerte sich kaum.

„Erinnerungslücken gehören zum Krankheitsbild“, hatte zuvor der Gutachter erklärt, dass der Angeklagte vermindert schuldfähig aber nicht schuldunfähig sei. Die Entführung sei in Teilen planvoll abgelaufen. So habe der Mann eine Waffe gehabt und den Jungen mit einer blinkenden Lichterkette umwunden. „Er hat gesagt, mit dem Handy könnte er das in die Luft sprengen“, berichtete der Zeuge, was sein Entführer der Polizei in wirren Anrufen erzählt hatte.

Zur Debatte stand gestern auch die Zwangseinweisung des Wiederholungstäters in die geschlossene Gerichtspsychiatrie. Denn für das Gericht stand fest, dass die „fortgesetzt negative Entwicklung“ nur durchbrochen werden könne, wenn der Mann aufhöre zu trinken. Dafür stellte der medizinische Gutachter eine vorsichtig zuversichtliche Prognose – vorausgesetzt, der Angeklagte bleibe über einen längeren Zeitraum im Klinikum Ost. „Was will man sonst tun?“, argumentierte auch der Verteidger.

Nur die Staatsanwältin war vom Urteil wenig erfreut. Sie hatte 18 Monate ohne Bewährung gefordert. Noch bleibt ihr eine Frist, gegen das Urteil Widerspruch einzulegen. Täte sie das – der Familie des Opfers wäre es recht. „Viel zu wenig“ sei die Strafe, fanden die anwesenden Familienmitglieder. ede