Die Chancen verteilt nicht die Schule

Eine Analyse der Bildungsbeteiligung in den Ortsteilen Bremens zeigt: Schule kann keine Chancengleichheit herstellen, weil sie die Förderung der Jugendlichen durch das Elternhaus nicht ersetzen kann – die Herkunft gewinnt, immer noch

Bremen taz ■ Das Statistische Landesamt (StaLa) hat den Zusammenhang zwischen der Sozialstruktur bestimmter Ortsteile Bremens und dem Bildungsgrad der SchülerInnen aus dem Ortsteil analysiert. Das Ergebnis kann Karl-Heinz Schlichting, Autor der Analyse und Mitarbeiter des StaLa, nur mit dem französischen Sozialkritiker Pierre Bourdieu kommentieren – der hat in seinem Werk „Die Illusion der Chancengleichheit“ formuliert, dass in der bürgerlichen Gesellschaftsschicht die erfolgreiche familiäre Förderung der Schüler „auf diskrete Weise die Erbfolge bürgerlicher Rechte sichert“.

Die Zahlen zeigen deutlich: In den vergangenen 20 Jahren haben Ortsteile mit überwiegend bürgerlichen Sozialstrukturen ihre gymnasiale Bildungsquote noch weiter verbessern können. Allerdings, so Schlichting, hat in der ausgewerteten 10. Klassenstufe heute jeder sechste Schüler einen Migrations-Hintergrund. Die Verteilung der Migranten über die Stadtteile spielt also bei der Verteilung der Bildungschancen eine große Rolle.

Im Jahre 1950 gingen in Bremen 66 Prozent der insgesamt 5.700 SchülerInnen der 10. Klassenstufe auf eine Hauptschule, 12 Prozent auf die Realschule, 22 Prozent aufs Gymnasium. Das hat sich bis zum Ende der 70er Jahre deutlich verändert: 1980 gingen nur noch 21 Prozent eines Jahrgangs auf die Hauptschule, 30 Prozent auf die Realschule, 36 Prozent aufs Gymnasium. Daran hat sich bis heute wenig geändert: Für das Schuljahr 2002/2003 liegen die Prozentzahlen bei 20,6 für Hauptschule, 28,5 für die Realschule, 34 Prozent für das Gymnasium. Hinzugekommen sind Gesamtschulangebote, die zum größeren Teil von Realschülern wahrgenommen werden. Ihre Nähe ist ihre Stärke: Weite Wege nehmen nur wenige für eine Gesamtschule in Kauf. In Ortsteilen, in denen eine Gesamtschule angeboten wird, wird sie in der 10. Jahrgangsstufe von rund 25 Prozent der SchülerInnen angewählt, vor allem die Zahl der Realschüler sinkt und auch die Zahl der Gymnasial-Schüler. Knapp ein Drittel der Gesamtschüler wechseln nach der 10. Klasse im Durchschnitt auf eine gymnasiale Oberstufe.

Wie stark die „soziale Koppelung“ der Bildungschancen ist, zeigt die Statistik der Ortsteile: In Huckelriede etwa mit hohem türkischen Bevölkerungsanteil besuchen 30 Prozent der Jugendlichen in der 10. Jahrgangsstufe die Hauptschule, 8 Prozent die Sonderschule. In Woltmershausen besuchen gar 36 Prozent eines Jahrgangs die Hauptschule, nur 23 Prozent einen gymnasialen Bildungsgang. In drei Ortsteilen Schwachhausens dagegen besuchen über 70 Prozent der Jugendlichen ein Gymnasium, für den Stadtteil insgesamt sind es 62 Prozent. In Oberneuland und Borgfeld besuchen nur 6 Prozent eines Jahrgangs die Hauptschule – „hier konzentriert sich ein zusammenhängendes Gebiet mit den höchsten Bildungsquoten“, heißt es in der Analyse. Auch in Bremen-Nord liegt die „soziale Koppelung“ auf der Hand: Aus Grohn mit seinen Sozialwohnungen gehen 33 Prozent zur Hauptschule, 20 Prozent aufs Gymnasium, direkt daneben liegt das bürgerliche Schönebeck mit 20 Prozent Hauptschülern und 43 Prozent Gymnasiasten.

Eines aber hat sich in den letzten 20 Jahren geändert: Mädchen erreichen in Großstädten heute statistisch gesehen bessere Abschlüsse als Jungen. kawe

Die vollständige Analyse des StaLa unter www.mehr-dazu.de