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: Carsten Ottes schweineöder Roman „Schweineöde“

Es beginnt mit einer schwer existenzialistischen Situation in einer Oberschöneweider Küche: Dort sitzt ein Mann names Kuballa, lutscht Knoblauchzehen und trinkt Gin Tonic, weil er glaubt, so die Sommerinsekten vertreiben zu können. Außerdem wartet er auf die Polizei. Man schreibt das Jahr 1999 und die nächsten 19 Kapitel ziehen in einer stümperhaft konstruierten Rückblende genauso zäh dahin, wie sie begonnen haben. Kuballa, ein schwer gelangweilter Erbe aus Bonn-Bad Godesberg, hat kurz nach der Wende und einer Reise durch Südostasien beschlossen, sich in Oberschöneweide niederzulassen und den Osten zu erforschen.

Auch der Autor, Carsten Otte, hat vier Jahre in Oberschöneweide gelebt und sollte so doch aus eigener Anschauung etwas Interessantes erzählen können. Aber er kann nichts erzählen. Es gibt keine Geschichte, keine Beobachtungen, keinen Alltag, kein Stimmungsbild, keine Welthaftigkeit. Grob gezeichnete Figuren verbreiten in platten Gesprächen die üblichen Klischees über den hässlichen Osten. Die Nachbarn essen Spreewaldgurken und Senf aus Bautzen, die Gegend ist trostlos, viele sind arbeitslos und saufen, der Westen ist fern. Kuballa gibt sich vor den Nachbarn zuerst als Journalist aus. In einem Artikel beschreibt er Oberschöneweide, Schweineöde, wie die Einheimischen angeblich sagen, als Ort des Grauens: Besoffene im Treppenflur, die in ihrer Kotze übernachten, Prollpärchen im permanenten Ehekrach, Schlägereien, Nazis. Durch diesen Geniestreich zieht sich der Westdeutsche den Hass der Oberschöneweider Mittelstandsvereinigung zu. Als die Bürgerwehr vor der Tür steht, lässt sie sich mit Kuballas billigen Tricks in die Flucht schlagen.

Kuballa ist zunächst fasziniert vom Osten, sammelt Diagramme und Aufsätze über Mentalitätsunterschiede zwischen Ost und West, konzentriert sein Interesse aber bald auf das Thema Staatssicherheit. Überall sieht er nun alte Kampfgruppenkollegen und informelle Mitarbeiter. Zwischen diesen trostlos einfallslosen Erzählungen werden unwillkürlich Kindheitserinnerungen aus Bonn eingeschoben, die sich immerhin etwas erträglicher lesen lassen. Hier sticht besonders eine Idee des Autors hervor: das Bad Godesberger Luxusrestaurant der Eltern „Silberlöffelchen“ zu nennen. Ansonsten aber schleppt sich der Roman mühsam dahin. Dabei springt der Erzähler im Zeitraum 1991 bis 1999 sinn- und planlos hin und her, eine hanebüchen konstruierte Postraubgeschichte, unmotiviert eingeschobene Ausflüge nach Polen, zum Atombunker und zur Rennbahn Hoppegarten müssen für Bewegung sorgen.

Zehn Jahre bleibt Kuballa in Oberschöneweide, sein ausgeprägtes Interesse an der Staatssicherheit wächst sich zur Stasibesessenheit aus. Auf den letzten Seiten eskaliert die Situation plötzlich, als habe es der Autor schließlich auch gemerkt: Auf 260 Seiten keine einzige Geschichte, wie gesagt, keine psychologische Motivation, keine Entwicklung, auch keine nach unten. Da hilft nur aufhören.

„Schweineöde“ will ein herrlich zynischer, superwitziger Nachwenderoman sein, tatsächlich ist er aber nur dumm und reaktionär. Und einen Roman nur zu lesen, weil sich der Autor einen lustigen Namen für ein westdeutsches Provinzrestaurant ausgedacht hat, das würde zu weit führen. CHRISTIANE RÖSINGER

Carsten Otte: „Schweineöde“. Eichborn, Berlin 2004, 261 S., 19,90 Euro