strafplanet erde: tarrantino und ich prangern an von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Als teilnehmender Beobachter bin ich manchmal in Sachen Gender Studies unterwegs. Die Voraussetzungen dazu sind ungünstig. Mir mangelt es an Kühnheit und dem Mumm zur Meinung, einige selektiv wahrgenommene Phänomene zu Ende zu deuten. Da bin ich froh über jede Unterstützung. Bei einer sensiblen Beobachtungsreihe, die das Rohe, Ungeschlachte, Bedenkenlose im Verhalten mehrerer Männer untersucht, bekam ich unerwartet Hilfe von prominenter Stelle, von einem Regisseur hartgesottener, ausgekochter, abgebrühter Filme: Quentin Tarrantino.

Unabhängig voneinander bewegen sich Tarrantino und ich bei unseren Studien in einem Grenzbereich zwischen Sozialverhalten und Hygienestandards, den man kurz so beschreiben könnte: Viele Männer waschen sich nicht die Hände, bevor sie den Abort verlassen. Das prangern wir an, Tarrantino und ich. Das steht ganz oben auf der Prioritätenliste des Anprangerungswürdigen, und ein Wertewandel auf diesem Gebiet wäre weitaus dringlicher anzumahnen, als ideologische Auseinandersetzungen zu führen um die Frage, ob die so genannten Sitzpisser, wie der Volksmund meint, als Schwächlinge respektive Weicheier zu denunzieren seien oder nicht.

Tarrantinos erste Annäherung an das Thema findet sich in „Reservoir Dogs“. Tim Roth alias Mr. Orange, der V-Mann, wird präpariert mit der Anekdote, wie er mit einer Tasche voll Gras einen Men’s Room betritt und plötzlich sechs Los Angeles County Sheriffs nebst Drogenhund gegenübersteht, deren Anwesenheit mit ihm aber gar nichts zu tun hat. Dann, während er sich die Hände wäscht, plaudern die Polizisten miteinander. Großaufnahmen in Zeitlupe. Seine Hände unter dem lärmenden Warmluftgebläse. Close-up Schäferhund. Schnitt.

In „Pulp Fiction“ wird Tarrantino noch deutlicher. Aufgrund unglücklicher Umstände erschießen die beiden durchgeknallten Killer einen jungen Mann im Fond ihres Autos auf sehr umständliche Weise. Das Interieur ist eine Sauerei in Rot. Nachher schimpft Samuel L. Jackson, der Jules spielt, mit John Travolta als Vincent Vega, der sich nicht gründlich genug die blutverschmierten Hände gewaschen hat: „You watched me wash ’em“, widerspricht Travolta. Jackson korrigiert ihn: „I watched you get ’em wet.“ Unabhängig von Tarrantino, so die Aktenlage, variiert Jackson das Thema in dem Film „The Nagotiator“, in dem er einen Witz über einen Marinesoldaten erzählt. Aber ich kenne den Film nicht noch den Witz. Einwandfrei nachweisbar aber ist eine Szene in „Jackie Brown“, einem Meisterwerk Tarrantinos mit der hinreißenden Pam Grier. Abermals Samuel L. Jackson, nun in der Rolle des Spagettibart tragenden Ordell Robie, kommt auf das Problem zu sprechen. Er hat es sich im Büro von Max Cherry, dargestellt von Robert Forster, bequem gemacht. Der kehrt von der Toilette zurück und Jackson begrüßt ihn mit den Worten: „I didn’t hear you wash your hands.“ Ob Tarrantino und ich, die wir gemeinsam ein Millionenpublikum erreichen, unter einem Waschzwang leiden oder verdienstvolle Aufklärungsarbeit leisten, sei vorerst dahingestellt. Warten wir „Kill Bill Vol. 2“ ab.