Paternoster ruhen nie

Nach dem blendenden 3:0 gegen eine desaströs indisponierte Alemannia aus Aachen ist Arminia Bielefeld erneut auf Aufstiegskurs und bietet mit Trainer Uwe Rapolder neue Fußballphilosophien

AUS BIELEFELD BERND MÜLLENDER

Es war „ein wunderbarer Abend“, wie im ersten ostwestfälischen Überschwang gestern die Lokalzeitung jubelte. Arminia Bielefeld hatte Aufstiegs-Mitkonkurrent Alemannia Aachen 3:0 weggefegt, die Erstliga-Rückkehr ist jetzt ganz nah. Die Gäste hatten so unterirdisch lahm gespielt, wie es eine Herde Nacktschnecken kaum schlechter könnte. Es hätte auch locker 6:0 ausgehen können.

Oder lag das alles an leidenschaftlicher Bielefelder Taktik? Deren Trainer Uwe Rapolder verortete „für Zweitligaverhältnisse allerbestes Niveau“ und dozierte nach dem einseitigen Abend stolz über „das Spiel mit Ball und das Spiel gegen Ball“ (womit der ballbesitzende Gegner gemeint war). Rapolder fußballphilosophierte vom „gut umgesetzten Vertikalspiel ins Zentrum der gegnerischen Viererkette“ und lobte seine folgsame Elf, die „genau so gespielt hatte, wie wir es trainiert hatten: dauerhaft ganz stark draufgepresst“.

Bislang war Rapolder als Grantler vom Mannheimer Waldhof bekannt und zwischendurch erfolgloser Coach bei LR Ahlen. Seit März ist er nun in Bielefeld, seitdem ist Arminia acht Spiele unbesiegt, zuletzt gab es sechs Siege in Folge. Plötzlich ist man aus dem Tabellen-Mitläuferbereich auf Platz zwei – mit jetzt komfortablen fünf Punkten Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz. Mit der Arminia, sagt der gelernte Betriebswirt gezielt bescheiden, habe er „nur eine absolut unterbewertete Aktie übernommen“. Die Spieler loben unisono sein Geschick in taktischen Dingen, „wie hervorragend der uns immer einstellt“ (Kapitän Torwart Hain).

„Ostwestfalens Glanz und Gloria“ (Fanforum-Headline) steht für das stetigste Auf und Ab des deutschen Fußballs. Der Aufstieg wäre der siebte: deutscher Rekord. Statt branchentypisch von einer Fahrstuhlmannschaft sollte man treffender vom Bielefelder Paternoster sprechen: Ganz automatisch geht es rauf und runter, unaufhaltsam, immer gleich. Nur die Alm ist offiziell abgeschafft. Das Stadion gleich neben dem Kleingärtnerverein Melanchton e. V. heißt jetzt SchücoArena, zum Frommen eines Türherstellers.

Bielefeld, „so oft verhöhnt und verspottet“ (Clubhymne), liebt das Dolce Vita – am Spieltag berichtete die Lokalzeitung groß von der „Puddingausstellung der Dr.-Oetker-Versuchsküche“. Ansonsten ist Ostwestfalen ein Landstrich von großer Strenge. Hier heißen Stadion-Ordner mit grellgelben Umhängen „Bereichsleiter DSC Arminia“ und verweigern der Trainergattin samt Entourage den Eintritt: „Auf den Namen hab ich keine Karte hinterlegt.“ Später klappte es doch.

Routinier Detlev Dammeier (35) möchte „noch einmal auf dem Rathaus-Balkon stehen“ – zur Aufstiegsparty. Marco Küntzel glaubt: „Noch ein Sieg in Aue und wir sind durch.“ Doppeltorschütze Isaac Bokaye (22), ein beeindruckend flinker Ghanaer, sah „einen Riesenschritt gemacht“. Und der Trainer rundete ab: „Nur wenn wir überheblich werden, kann es noch danebengehen.“

Und dann? Die Exalm für 26.600 Menschen ist durchaus bundesligatauglich, nur sollten statt der breiten Elfmeterstriche besser doch Punkte aufgemalt werden, sonst reagiert der strenge DFB mit Strichabzügen. Die bekannt nörgeligen Zuschauer, die auch die wundersame Siegesserie mit mäßiger Präsenz (17.000) und eher stoischer Hingabe („D-S-Zeheee“) feiern, sind es kaum. Immerhin ist die Stadionwurst durchaus erstligalecker. Und den schönsten Namen haben sie auch: Jesus Sinisterra, einen Kolumbianer.

Die Elf hat defensiv große Qualitäten (beste Abwehr der Liga) mit dem Zerstörungsdreieck Petr Gabriel, Dammeier und vor allem dem kaum halbhohen Giftzwerg Rüdiger Kauf, der am Montag auch noch zwei Treffer brillant vorbereitete. Abwehrstärke war für Aufsteiger schon immer hilfreicher als ein guter Zweitligasturm. Der grotesk ungelenke Küntzel, der viel belacht noch schwächer spielte als die meisten Aachener und selbst bei einem Umarmungsversuch desorientiert am Torschützen Bokaye vorbeisprang, wird ersetzt werden können. Dennoch: Der Titel Rekordabsteiger ist schnell dazugewonnen. Paternoster ruhen nie.