Landverbrauch soll teurer werden

Der Nachhaltigkeitsrat nimmt den Kampf um lebenswerte Städte neu auf und skizziert ein Leitbild für die Stadtentwicklung – fernab von dem der Bausparkassen. Die Subventionierung von Stadtflucht und Speckgürteln will er dagegen abbauen

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Jeden Tag werden in Deutschland 105 Hektar Fläche neu bebaut – ein Fläche so groß wie 143 Fußballfelder. Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Regierung sieht vor, sie bis 2020 auf 30 Hektar zu verringern. „Eines der schwierigsten Themen“, meint Volker Hauff, der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates. Denn obwohl Deutschland „Weltmeister“ darin sei, Flächen in Anspruch zu nehmen, herrsche in der Politik „eine gewisse Ratlosigkeit“. Am Montag stellte der Nachhaltigkeitsrat deshalb einen Diskussionsentwurf vor, wie ein zeitgemäßer Ansatz zur Flächenschonung aussehen könnte. „Mehr Wert für die Fläche“ ist der Titel des Papiers, das bis zum 14. Mai öffentlich debattiert werden soll. Ziel: ein „neues Leitbild für nachhaltige Stadtentwicklung“.

Hauptgrund für den Flächenfraß ist die Konkurrenz der Bürgermeister um Gewerbe und betuchte Anwohner. Die Gemeinden leben vor allem von ihrem 15-prozentigen Anteil an der Einkommensteuer und von der Gewerbesteuer. Betriebe und Anwohner lassen sich am leichtesten mit billigem Baugrund locken – und der ist vor allem auf der viel zitierten „grünen Wiese“ zu haben. „Ansiedeln um jeden Preis“ nennt die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) dieses Prinzip. Drei Viertel des Bevölkerungszuwachses in Ballungsgebieten fiel während der 90er-Jahre auf die so genannten Speckgürtel, die Randgemeinden der Städte.

Die zweite Ursache heißt Wohlstand: „Die über steigenden Flächenverbrauch klagen, sind meist selbst Teil des Problems“, sagt der Präsident der Bundesarchitektenkammer, Peter Conradi. Kam 1960 noch jeder Bundesbürger mit 16 Quadratmeter Wohnraum zurecht, nutzt er heute 40. Immer mehr Menschen wohnen alleine in großen Wohnungen. Dazu gehören Singles, aber auch ältere Menschen, die in ihren Einfamilienhäusern bleiben, obwohl die Kinder längst aus dem Haus sind – weil es in der Nachbarschaft keine kleineren Wohnungen gibt.

Dritte und letzte Ursache ist der Qualitätsverlust der Städte: Lärm, Verkehr, fehlendes Grün lässt vor allem junge Familien ins Grüne ziehen. Das Einfamilienhaus sei ohnehin „für 75 Prozent der Bevölkerung die adäquate Wohnform“, so Norbert Portz vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.

Diese Aufzählung zeigt, wie schwierig eine Wende sein dürfte. In den 80er-Jahren hieß das Mittel „Verdichtung der Städte“. Heute sieht man keinen Sinn mehr darin, „jede Baulücke zu schließen“. Dagegen müsse man dafür sorgen, so Höhn, „dass die Städte lebenswerter werden“.

Federführend beim Entwurf des Nachhaltigkeitsrats ist Angelika Zahrnt, die Vorsitzende des BUND. Auch sie will die Städte lebenswerter machen und definiert ihr Leitbild bewusst in Abgrenzung zum Haus im Grünen: „Wir dürfen das Leitbild nicht den Bausparkassen überlassen.“

Um den Verbrauch von Land zu verteuern, denkt der Nachhaltigkeitsrat an eine Neuerschließungssteuer. Dies könnte bewirken, dass Recycling von Brachflächen konkurrenzfähiger wird zur Ausweisung im Grünen. Auch die Grundsteuer soll umgestaltet werden. Neben ergänzenden Richtlinien im Planungsrecht schweben dem Rat zudem die Abschaffung der Entfernungspauschale und eine Änderung der Eigenheimzulage vor: Bei Neubau auf der grünen Wiese soll sie nicht mehr fließen.

Fraglich ist, inwieweit die Debatte die Kommunen derzeit erreichen kann. „Es gibt im Augenblick Wichtigeres für uns“, meint Portz, „die Gemeindefinanzreform.“ Dabei gehören die Themen durchaus zusammen: Die Erschließung entfernter Flächen mit Wasser, Strom und Straßen sowie neue Schulen und Kindergärten kommen die Kommunen oft teurer als erwartet. Diese „Schattenkosten“ sollten stärker untersucht werden, fordert neben Zahrnt auch der Münchner Stadtrat Joachim Lorenz. Bei der klammen Situation der Gemeinden könnten ökonomische Gründe sie wohl am ehesten zum Umsteuern bewegen.

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